Kulturschock im Kino

Nicht alle sehen den türkischen Film „Tal der Wölfe“ mit gleichen Augen. Deshalb schießt die Debatte um ein Verbot weit über das Ziel hinaus

Von DANIEL BAX

Jeder sieht den Film anders. Viele Deutsche, die sich „Tal der Wölfe“ aufgrund der Diskussionen der letzten Tage angeschaut haben, verließen das Kino verstört. Die meisten türkischen Zuschauer, beileibe nicht alle, scheinen sich dagegen köstlich amüsiert zu haben. Aber worüber?

Zahlreiche Medien haben in den letzten Tagen auf diese Frage eine Antwort gesucht und ihre Reporter und Kamerateams vor den Kinosälen postiert, um die herausströmenden Zuschauer abzufangen. Die Antworten fielen sehr unterschiedlich aus: Einige sagten, der Film zeige „die Wahrheit“ und so seien „die Amerikaner“ im Irak nun einmal. Anderen gefiel einfach, dass mit dem Agenten Polat Alemdar ein türkischer Held die Hauptrolle spielt, zumal ihn viele aus der gleichnamigen TV-Serie kennen. Dass er diesmal fiesen Amis das Handwerk legt und nicht, wie sonst, der türkischen Mafia, schien für sie keinen großen Unterschied zu machen.

Für viele Kritiker ist es die Szene mit dem jüdischen Arzt, die den Film vollends unerträglich macht. Doch der antisemitische Subtext dieser Szene scheint den meisten türkischen Betrachtern schlicht nicht aufgefallen zu sein. Schwer zu sagen, ob dass am mangelnden Problembewusstsein liegt oder daran, dass die Ressentiments geteilt werden; aber der antisemitische Code ist eben nur für jene erkennbar, die ihn kennen.

Schwer überhaupt zu sagen, wie empfänglich die meisten für das platte Pathos der nationalistischen und religiösen Botschaften sind, die den Film durchziehen. Dennoch überschlagen sich manche Journalisten und Politiker derzeit mit Diagnosen, die von einem simplen Reiz-Reaktionsmuster ausgehen. Jugendliche würden durch den Film „radikalisiert“, glaubt der baden-württembergische Innenminister Rech, und dass ein paar Jugendliche in Berlin-Wedding nach der Vorführung „Allah ist groß“ skandiert haben sollen, wurde gleich in mehreren Zeitungen kolportiert.

Nun sind Gejohle und Szenenapplaus im türkischen Kino keine Seltenheit und man würde sich einmal wünschen, manche der sensiblen Kritiker hätten sich mal in eine Nachmittagsvorstellung vom „Schuh des Manitu“ gesetzt, dem erfolgreichsten deutschen Film aller Zeiten, bevor sie ihrer Paranoia vor aufgehetzten Türkenmassen freien Lauf ließen. Grotesk ist daher, dass die Cinemaxx-Kinos „Tal der Wölfe“ nun aus dem Programm genommen haben. Auch wenn die Kinokette behauptet, dies habe keine politischen Gründe, dürfte der öffentliche Druck doch diese Entscheidung begünstigt haben.

Inzwischen wird sogar schon von Politikern in der Türkei verlangt, sie müssten sich erklären. Dabei kann man sogar verstehen, warum die Frau des türkischen Premiers Erdogan „Tal der Wölfe“ einen „schönen Film“ nannte, wenn man ihn einmal gesehen hat, zeichnet er mit der Figur eines kurdischen Scheichs auch das Weichzeichner-Bild eines Islams, der Selbstmordattentate verbietet und die Menschen über alle ethnischen Differenzen zu vereinen vermag. Diese Ablehnung der Gewalt ist keine bloß „taktische Differenz“ zum Dschihadismus eines Bin Laden, wie Robert Misik kürzlich in der taz meinte, sondern eine moralische, und damit ein Unterschied ums Ganze: Denn so, wie Josef Joffe in der aktuellen Zeit die Folterbilder aus Abu Ghraib als „Verrat an der amerikanischen Idee“ bezeichnet, sehen viele Muslime im Terror einen „Verrat an der islamischen Idee“.

Trotzdem lässt der durchschlagende Erfolg von „Tal der Wölfe“ tiefer in den Gemütslage vieler konservativer und religiöser Türken blicken, als diesen lieb sein kann. Sichtbar wird nicht nur ein tief sitzender Minderwertigkeitskomplex, der durch einen pathetischen Nationalismus kompensiert wird, sondern auch eine romantische Sehnsucht nach der guten alten Zeit des Osmanischen Reichs, als alles angeblich so viel besser war.

Auch an diese Zeit vor der säkularen Republik knüpft „Tal der Wölfe“ mit der Figur des Scheichs nämlich an: Sie ist an den Großvater des Hauptdarstellers Necati Sasmaz und des Produzenten Raci Sasmaz angelehnt, dessen Andenken die beiden Brüder den Film gewidmet haben. Dieser war ein Scheich des Sufi-Ordens der Kadiri, der wie alle anderen Derwisch-Bruderschaften einst von Atatürk verboten wurde. In vielen türkischen Filmen der jüngeren Zeit macht sich jedoch eine Neubewertung des Islams bemerkbar, und „Tal der Wölfe“ bringt sogar das religiöse Ritual des Ordens auf die Leinwand.

Zweifel sind jedoch angebracht, ob die Botschaft dieses letztlich doch sehr türkischen Films damit wirklich „panislamisch“ und von Pakistan bis Casablanca anschlussfähig ist. Denn an das Osmanische Reich hegt man in den meisten arabischen Ländern, die früher zu dessen Einflussbereich gehörten, eine weit weniger verklärte Erinnerung als in der Türkei.