Pressekrieg in Polen

Der Traditionsverlag Agora hat die erste Schlacht gegen Springer verloren und stellt das Boulevardblatt „Nowy Dzień“ ein. Der Kampf geht weiter

AUS WARSCHAU GABRIELE LESSER

Nowy Dzień! Kauft heute den ‚Neuen Tag‘!“, plärrt das Kofferradio im Zeitungskiosk vor der Warschauer Handelshochschule: „Heute habt ihr die letzte Möglichkeit, eine Zeitung kennen zu lernen, wie sie hätte sein können!“ Barbara Wojdyga dreht entnervt den Ton ab. „Wenn’s nach mir ginge, könnten die hier auch noch alle weg“, keucht sie und wuchtet einen Stapel Superexpress neben Fakt, die beiden anderen großen Boulevardblätter Polens. „Ich kann mich in meinem kleinen Kiosk kaum noch umdrehen, so viele neue Zeitungen gibt es.“

Tatsächlich sind in Polen allein im letzten Jahr 120 neue Pressetitel auf den Markt gekommen. Aber auch 50 Blätter verschwunden, darunter die polnischen Ausgaben so renommierter Magazine wie Marie Claire und Business Week. Oder alteingesessene Tageszeitungen wie Życie, Kulisy und Głos Wybrzeża. Der Grund war immer gleich: Die Verlage konnten dem Konkurrenz- und Preisdruck auf dem heiß umkämpften Markt nicht standhalten.

Jetzt trifft es das Verlagshaus Agora, das mit der Gazeta Wyborcza den Meinungsführer unter Polens Tageszeitungen herausgibt. Dazu kommen noch vierzehn Hochglanzmagazine, das Gratisblatt Metro und bis gestern eben auch Nowy Dzień. Mit dem erst vor drei Montagen gestarteten Titel wollte Agora den Angriff des Axel-Springer-Konzerns auf die Gazeta Wyborcza kontern. Denn die 1989 aus dem Runden Tisch geborene erste unabhängige Zeitung Polens musste ausgerechnet unter dem Druck des an der Bild-Zeitung orientierten Springer-Blatts Fakt Federn lassen. Mit einer Auflage von über 500.000 Exemplaren täglich hängte Fakt die Gazeta Wyborcza (Auflage rund 455.000) als bisherigen Marktführer ab. Noch stärker getroffen wurde zwar das Boulevardblatt Superexpress, dessen Auflage von über 300.000 in Vor-Fakt-Zeiten auf heute 214.000 absank.

Doch auch bei Agora schrumpften Werbeeinnahmen und Leserzahlen. Nowy Dzień sollte diesen verloren gegangenen Boden gegenüber Springer gutmachen, doch die geplanten Verkaufszahlen von 250.000 Exemplaren wurden nie erreicht. Im Gegenteil: Seit der Einführung des Blattes im November 2005 sank die verkaufte Auflage im Sturzflug von 212.000 auf zuletzt 130.000 Exemplare. Im letzten Quartal 2005 machte Agora nur noch umgerechnet 2,2 Millionen Euro) Gewinn – ein Jahr zuvor waren es noch 10 Millionen Euro.

Agora braucht aber dringend hohe Rücklagen. Denn Springer bläst zum Großangriff auf die aus früheren Dissidentenkreisen hervorgegangene Gazeta Wyborcza. Schon im April, so spekulieren viele Medienbeobachter, könnte ein polnischer Verschnitt von Springers Welt auf den Markt kommen. Seit Monaten schon arbeiten rund 200 Journalisten, Grafiker, Fotografen und Techniker an dem neuesten Blatt des Konzerns, der nach dem Scheitern der geplanten Fusion mit der ProSiebenSat.1-Sendergruppe angekündigt hat, sein Heil dann eben wieder vor allem im Ausland zu suchen.

Eine zweite Niederlage gegen Springer kann sich Agora aber nicht leisten. „Wenn die Gazeta Wyborcza fällt, fällt der ganze Konzern“, sagt Rafał Oracz von der CR Media Consulting.

Deshalb plant Agora nach dem Aus für Nowy Dzień einen ganz anderen kühnen Schritt: Der Verlag will dem norwegischen Orkla-Konzern seine polnischen Medienbeteiligungen abjagen. Orkla ist verkaufswillig und besitzt neben dem Qualitätsblatt Rzeczpospolita auch ein knappes Dutzend Regionalzeitungen. Mit diesen Titeln in der Hinterhand hätte Agora eine wesentlich bessere Stellung gegenüber Springer. – „Agora rüstet zum Krieg“, titelte gestern das regionale Hauptstadtblatt Życie Warszawy.