Ein bisschen Gift darf sein

Obwohl die Gefährlichkeit der Chemikalie ITX in Fruchtsäften umstritten ist, darf ITX-Saft weiter verkauft werden. Denn die Wirtschaft will es so

„Es kann nicht sein, dass ITX durch die Kehlen der Kunden entsorgt wird“

VON TARIK AHMIA

Der Streit über chemisch belastete Getränkekartons geht in die nächste Runde: „Herr Seehofer will offenbar die ITX-haltigen Getränke durch die Kehlen der Verbraucher entsorgen“, kritisierte Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe, weil das Verbraucherministerium den Abverkauf sämtlicher ITX-belasteter Lagerbestände dulde.

Die Druckchemikalie ITX wurde von der DUH erstmals vor einem Monat in Fruchtsäften nachgewiesen. Nach ähnlichen Funden in Österreich und Italien haben die dortigen Behörden die belasteten Kartons vom Markt genommen. In Deutschland ist nichts dergleichen passiert. Über die Gefährlichkeit von ITX gibt es seitens der chemischen Industrie keine nachprüfbaren Angaben. Allerdings stuft die US-Umweltschutzagentur EPA ITX nach Fischversuchen als toxisch ein. Dem widerspricht die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit: Sie sieht kein Risiko.

Nach neuen Analysen der DUH enthalten auch Fruchtsäfte, die häufig von Kindern konsumiert werden, die Chemikalie. In den 0,2-Liter-Kartons des „Multi Vitamin Saft hohes C“ von Eckes-Granini wurden 405 Mikrogramm ITX pro Kilogramm festgestellt – achtmal so viel wie der vom Bundesinstitut für Risikobewertung empfohlene Grenzwert. Er liegt bei 50 Mikrogramm.

Positiv auf ITX getestet wurden auch „Frucht sei Dank Apfel-Sanddorn-Fruchtsaftgetränk“ (275 Mikrogramm ITX), „Christinen Vitazell Orangen-Karotten-Zitronen-Vitamingetränk“ (266 Mikrogramm) sowie „Rio Grande Premium Orangensaft“ von Edeka (139 Mikrogramm).

Nach den ersten ITX-Funden intervenierte das Verbraucherschutzministerium bei der Industrie. Die großen Hersteller von Getränkekartons wie Elopak und Tetrapak teilten mit, umgehend auf eine ITX-freie Produktion umzustellen. Die vorhandenen Lagerbestände von Getränken, die ITX enthalten, will die Industrie jedoch weiterhin verkaufen. Das geht aus einem Vermerk über ein Gespräch zwischen Wirtschaft und Verbraucherministerium vom 16. Februar hervor. Darin mahnen die Vertreter der Getränkewirtschaft eine „einheitliche Vorgehensweise im Vollzug im Hinblick auf den Abverkauf von möglicherweise ITX-haltigen Packungen und Hilfestellung“ durch das Verbraucherschutzministerium an. „Es kann nicht sein, dass ITX aus Rücksicht auf die Gewinninteressen der Industrie noch bis zum Jahresende durch die Kunden entsorgt wird“, sagte Jürgen Resch.

Vertreter der Länder betonten in dem Gespräch, dass ein Rückruf der Kartons grundsätzlich zulässig sei und dass es sich bei ITX um einen „Fremdstoff“ handele, der zu einem „inakzeptablen“ Lebensmittel führt.

Minister Seehofer sieht derzeit aber offenbar keinen Handlungsbedarf, weil es keine neuen Erkennnisse über die Gefährlichkeit von ITX gebe.

Der Discounter Aldi hat seinen Fruchtsaft „Apfelblüte“, in dem ITX gefunden wurde, nach einem Verkaufsstopp inzwischen wieder in die Regale gestellt. Wie zum Trotz hängt neben den Paletten demonstrativ ein grüner Zettel mit der Aufschrift: „Stiftung Warentest: gut“.