Richterliche Warnung vor den Lobbyisten

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes sieht Unabhängigkeit der Abgeordneten „auf harte Proben“ gestellt

BERLIN taz ■ Vor der unkontrollierten Macht von Lobbyisten hat der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes gewarnt. „Gewisse Gefährdungen sind nicht zu leugnen“, sagte Hans-Jürgen Papier gestern in Berlin. Vor allem außerparlamentarische Expertengremien und Kommissionen sieht Papier kritisch. „Die Gefahr besteht in der Umgehung der Verfahren der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie und in der Aushöhlung ihrer Formen.“

Was der Jurist trocken staatstheoretisch formuliert, hat einen sehr konkreten Hintergrund. Rund 4.500 Lobbyisten von Unternehmen und Verbänden sowie Nichtregierungsorganisationen kümmern sich Berlin um 614 Parlamentarier und die Mitarbeiter in den Ministerien. Sie liefern Informationen, vor allem aber Meinungen und manchmal auch ganze Gesetzentwürfe. Im Prinzip sei dagegen nichts einzuwenden, meint auch Papier. Schließlich gehöre das zur Demokratie und würde Parlament und Ministerien mit Fachwissen versorgen.

Allerdings birgt dieses Geflecht Gefahren: Dazu gehört eine Gesundheitsreform, die eher der Pharmabranche und Funktionären dient als dem Normalpatienten. Oder ein Energiegesetz, das Privilegien der großen Konzerne schützt. Diese Beispiele kommen auch in dem Buch „Die fünfte Gewalt – Lobbyisten in Deutschland“ vor, das gestern von der Bundeszentrale für politische Bildung vorgestellt wurde. Auf dieser Veranstaltung sprach auch Papier.

Der Verfassungsrechtler moniert am „real existierenden Lobbyismus“ unter anderem, dass es keine „echte Waffengleichheit“ der verschiedenen Interessengruppen gebe. Vielmehr entscheide nicht zuletzt die wirtschaftliche Potenz einer Lobby, wie stark sie den Politikbetrieb beeinflussen könne. „Das Ethos der Abgeordneten als Träger eines freien Mandats wird auf harte Proben gestellt“, sagte Papier. So müssten die Parlamentarier zum Beispiel bei den anstehenden Sozialreformen auch die Belange jener berücksichtigen, die sich nicht organisieren und durchsetzen können.

Und dann sind da noch die vielen Kommissionen à la „Rürup“ oder „Hartz“. In diesen Runden sitzen auch Fachleute, die mehr oder weniger offen die Interessen bestimmter Gruppen vertreten. Das Problem: Diese Kommissionen treffen oft Vorentscheidungen, die eigentlich das Parlament behandeln müsste. Die von Ex-Bundeskanzler Schröder geforderte „1:1-Umsetzung“ der Hartz-Vorschläge ist dabei nur ein Beispiel.

Zur Lösung gab Papier dem Bundestag zwei Anregungen. Erstens: Kein Parlament muss sich die Verlagerung wichtiger politischer Vorentscheidungen aufzwingen lassen; kein Parlamentarier ist gezwungen, die Argumentationsmuster und Papiere von Lobbyisten kritiklos zu übernehmen. Zweitens könnten gesetzliche Maßnahmen helfen, um das Parlament zu „revitalisieren“. So könnten im Wahlsystem mehr Elemente der Persönlichkeitswahl eingeführt werden. Das würde die Abgeordneten stärken, anstatt sie zum „auswechselbaren Glied von Parteilisten“ zu machen.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) zeigte sich mit Blick auf diesen Vorschlag skeptisch. Er bezweifelte, dass damit die „Einflugschneise von Interessenvertretungen“ zu verkürzen sei. Man könne jedoch prüfen, ob die Wähler Einfluss erhalten sollten auf die Reihenfolge der Kandidaten, die die Parteien festlegten. STEPHAN KOSCH