Rock gegen gar nichts

Für die, die es nicht wissen: Erdmöbel sind eine große Band. „für die nicht wissen wie“ ist ein großes Album. Eine Begegnung mit Sänger und Lyriker Markus Berges. Und ein Gespräch über die neue Bürgerlichkeit des Rock ’n’ Roll

VON PETER UNFRIED

Markus Berges wuchs in Telgte auf. Das ist in Westfalen. Klassisch-bundesrepublikanische Kindheit. Er pubertierte mit dem Lebensziel, „nicht so zu werden wie meine Eltern“. Das hieß: „Ich will nicht bürgerlich werden.“ Mit 14 wurde er Punk. Kunstlederjacke usw. Eine redliche Provokation für die Eltern und Telgte. Eines Tages fuhr er dann mit einem Freund zu einem Punk-Festival. Stiff Little Fingers spielten. Mit Fingerfarbe hatten die Telgter auf ihre Lederjacken „anarchy!“ geschrieben. Da kam ein richtiger Punk und sagte: „Soll das Punk sein?“

Those were the days, und darum ging es: „Das Wir-Gefühl in der Abgrenzung zu anderen definieren. Der Rest ist immer Scheiße. Und wenn es nur zwei nicht richtig angezogene andere Punks sind.“ Berges, 39, ist Sänger und Lyriker von Erdmöbel. Das ist eine Kölner Band, von der Kritiker sagen, dass sie „in einer gerechteren Welt“ ganz viele Platten verkaufen würden. Wenig hasst Berges mehr als diesen Satz. Gestern Abend spielte er in der Volksbühne in Berlin Mitte. Jetzt sitzt in der „Markthalle“ in Kreuzberg.

Was soll uns die Punk-Anekdote sagen? Dass er sich schon zu Zeiten, als er die Unbürgerlichkeit suchte, an ihr gerieben hat. Weil er ihre spießige Seite sah und die Pose. „Aggressiven Widerstandspop ohne Humor“ nennt er das Genre. Bitte: „Es gibt auch eine starke Seite daran, aber mich hat das tendenziell Verlogene daran gestört, das Ausgestellte, das Unechte.“ Ein Wir-Gefühl in einem Konzert herzustellen, und speziell, indem man sich abgrenzt gegen „die“? Hat etwas Ekelhaftes, sagt Berges, er nennt es die „Tote-Hosen-Gröl-Situation“. Dass man heute nicht mehr durch Frisuren, Kleider und nicht mehr durch seinen Musikgeschmack zu den Guten gehören kann? „In der Beziehung vermisse ich nichts.“

Und zu Hause hat er eine Schrankwand? – „Ne, eine Schrankwand habe ich nicht, aber ein Haus.“ Es steht in Köln. Darin eine Frau, zwei Kinder.

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Der Deutsche hat es im deutschsprachigen Pop traditionell mehr mit dem Diskurs als mit der Musik. Als Berges Mitte der 90er mit Erdmöbel anfing, mussten immer noch Nachkriegstrümmer entsorgt werden. Da sang er: „Zu deutsch für Rock und Roll“. Klitzekleiner Hit. Manche vermissen den Song heute in den Konzerten. Aber er hat sich erledigt. Erstens: „Das Thema“. Also die Geschichte des Krautrock, das Hadern mit der deutschen Sprache, das immer auch ein Hadern mit Deutschland war.

Was sich noch mehr erledigt hat, sagt Berges: „Dass dieser Song so viel Thema hat.“ Berges ist ein „intensiver Zeitungsleser“, ein „politischer Mensch“, aber wenn er schreibt, kommen keine Meinungen heraus, keine „politischen Inhalte“, schon gar kein Rock gegen rechts. „Ich habe nichts gegen Meinungen, ich muss sie nur nicht singen.“ Eine Meinung haben ist was, aber keine Kunst. Manche kritisieren die „rätselhaften“ Texte. Dabei ist die Botschaft spätestens seit „Lied über gar nichts“ klar: Werde inspiriert und bereichert, aber denke selbst, meine selbst.

Zum Beispiel: „Russischbrot“. Vom aktuellen sechsten Album „für die nicht wissen wie“ (tapete records 2005). Ich kenne kaum ein schöneres Lied.

Im Text (siehe unten) geht es (vermutlich) um ein Paar, das in eine Gaststätte einkehrt, in die man Speisen mitbringen darf und nicht bedient wird. Das ist aber kein großes Problem und keine Metapher für Größeres.

Es entsteht eine Stimmung. Eine Bewegung. So eine, dass man auch beim tausendsten Hören noch so ein Gefühl bekommt. Und Gefühle hat man definitiv nicht im Kopf. Man möchte weinen. Nicht, weil man auch mal nicht bedient wurde. Nicht, weil die Welt so schlecht ist. Sondern: Weil die Welt ist?

Sofort die Sorge: Der Song ist einfach sentimental – und der gottverdammte Hörer auch. „Schon ein bisschen“, sagt Berges. „Die sentimentale ist nicht die starke Seite des Songs.“ Er mag den Song trotzdem, „weil der das hat, aber musikalisch so fluppt“. Die Melodie hat tatsächlich etwas Federleichtes. Trotzdem ist das Lichtjahre entfernt von „You can’t hurry love“ und so Zeug.

Uuups, das war jetzt ein eindeutiger Abgrenzungsversuch. Neuer Anlauf: Die Musik ist hier und in anderen Songs eine Art 60er-Hommage-Pop. Die besondere Spannung entsteht durch die Verbindung mit dem melancholischen Moment, das nicht in den Worten liegt, sondern das die Worte in die Melodie einweben und die Melodie in die Worte.

Wem das zu geschwollen ist, Entschuldigung.

Berges sagt, er greife ungern auf Adorno zurück, weil das so was Bildungsbürgerliches habe. Aber der habe in der „Ästhetischen Theorie“ ausgeführt, dass es darum gehe, dem in keiner meinenden Sprache Sagbaren Ausdruck zu verleihen. Ihm selbst gehe es darum, „dem Sentimentalen entgegenzuarbeiten und gleichzeitig das intensive Gefühl zulassen. Aber ohne Erinnerungsseligkeit.“

Die FAZ hat – sicher wohlwollend – geschrieben, Erdmöbel seien „eher für das Goethe-Institut als für das Anzetteln von Revolutionen“. Stimmt. Gerne würde Berges sich vom Goethe-Institut losschicken lassen. Gerne auch Songs hören, die Revolutionen anzetteln („Äh, welche wären das?“).

Der wirtschaftliche gefragte und politisch propagierte Lebensstil ist Individualismus zum Zwecke der Stärkung der eigenen Ökonomie. Was, wenn die halbwegs gut verdienende Mittelschicht, zu müde oder zu intelligent, sich die Namen von monatlich neuen 20-jährigen Rebellen aus England zu merken, seine Songs dazu nutzte, um sich in der Besitzstandswahrung zu bestätigen? Oder sich zu entspannen, um morgen wieder voller Elan diese individuellen ökonomischen Ziele verfolgen zu können. Wenn das die Funktion von Erwachsenenmusik im 21. Jahrhundert wäre?

Gefällt ihm nicht, weder das Wort Erwachsenenpop („furchtbar“), noch die Vorstellung, als bürgerliche Popband für Erwachsene, eine Zielgruppe zu bedienen. So was mute man einem Gerhard-Richter-Gemälde auch nicht zu. „Ein Erdmöbel-Lied kann man nicht aus dem Automaten ziehen, um ein bestimmtes Bedürfnis zu befriedigen.“ Im Übrigen arbeite Kunst nie an der Erhaltung des Status quo (außer natürlich Status quo selbst) und richte sich Erdmöbel doch auch GEGEN etwas. Ein Album heißt sogar „Erdmöbel vs. Ekimas“. Auf dem Album hat der eigene Bassist und Produzent Ekimas alte Songs noch mal rangenommen, um ihnen Neues abzuringen. Erdmöbel arbeiten permanent an der Weiterentwicklung ihrer Songs. Unzufriedenheit ist der Motor dieser Kunst, aber es ist nicht die Unzufriedenheit mit den Verhältnissen, sondern die mit der eigenen Leistung, solange sie nicht perfekt ist. Und wann ist sie das schon.

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Ein Erdmöbel-Konzert ist die Abwesenheit von Rock-’n’-Roll-Klischees. Sowie die weitgehende Abwesenheit von ironischem Zitieren von Rock-’n’-Roll-Klischees. Die Leadgitarre ist längst degradiert bzw. abgeschafft. Nicht zeigen, was nicht mehr geht. Sondern ausprobieren, was geht. Sie sind da nicht die Einzigen, klar. Aber es ist schon bemerkenswert, wie sehr die Musik im Vordergrund steht – und die Musiker sich selbst auf der Bühne zurücknehmen. Übrigens tragen alle Anzug. Auch das unironisch, vom Bassisten Ekimas mal abgesehen. Keiner hat lange Haare. Nichts, was man antibürgerliche Accessoires nennen würde. Die Musik hat auch live etwas ungemein Lässiges, die Typen sind überhaupt nicht lässig. Sie stehen eindeutig nicht als Identifikationsfläche zur Verfügung. Es geht auch nicht darum, ob sie „echt“ oder „authentisch“ sind. Du kriegst hier Musik. Mach mir ihr, was du kannst. Übrigens besteht das Konzert aus lauter Hits. Und dabei werden noch nicht mal alle Hits gespielt.

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Kann man sich sicher sein, dass Markus Berges nicht CDU wählt? Lächeln. „Ich verstehe den Impuls. Ich bin mir auch gern sicher, dass jemand nicht CDU wählt, dessen Kunst ich schätze. Aber es ist Schwachsinn. Weil ich weiß, dass Kunst ein Eigenleben hat, und sei es ein Popsong.“

Im Titelsong des großartigen aktuellen Albums „für die nicht wissen wie“ heißt es:„Dieses Lied ist für die /die die nicht wissen wie /oder wer sind die /für die dieses Lied ist.“

Auf dem Cover sieht man eine Gruppe von 31 Menschen. Wer sind sie? Was eint sie? Faktisch sind es Freunde bis Bekannte von Bekannten, die Erdmöbel für das Foto eingeladen hatten. Die Spannung besteht für Berges darin, dass das Foto tatsächlich aussieht, als fragten die Leute: Wer sind wir? Und antworteten sich: „Wir wissen selbst nicht, was für eine Gruppe wir sind.“ Und wer bin ich, wenn ich Erdmöbel höre? Hm. Falls einer immer noch hoffte, zumindest hier Teil einer klar konturierten Gruppe zu werden, in der er sich suhlen und zu Hause fühlen kann: forget it.

Manchmal möchte man dennoch zumindest seufzen: Wer Erdmöbel hört, kann kein schlechter Mensch sein – oder gar neoliberal. Klar, kann man. Und in Stuttgart gibt es schnauzbärtige Erdmöbel-Fans.