Da geht noch was!

Ulla Unseld-Berkéwicz rief, und die Literaturwelt kam: Der Suhrkamp Verlag hat am Donnerstag eine Repräsentanz in Berlin eröffnet

Suhrkamp verweigert sich gerne dem Zeitgeist: So kommt der Verlag Jahre nach dem Berlinboom und zieht ins sterbende Westberlin

Gegenwart, das bedeutet für den Suhrkamp Verlag immer auch die Erinnerung an die Vergangenheit, das Gedenken an die große eigene literarische Tradition. Kein Wunder also, dass an diesem Donnerstagabend, da der Suhrkamp Verlag seine Repräsentanz in Berlin in der Charlottenburger Fasanenstraße feierlich eröffnet, von Verlagsleiterin Ulla Unseld-Berkéwicz wie auch von anderen Verlagsmitarbeitern gern darauf verwiesen wird, dass Peter Suhrkamp den Verlag nach dem Zweiten Weltkrieg in Berlin gründete und Frankfurt am Main erst 1950, nach der Trennung von den S. Fischer Verlagen, erster Verlagsstandort wurde.

Gegenwart, das bedeutet für den Suhrkamp Verlag insbesondere aber, sich dem Zeitgeist zu verweigern und Andersartigkeit herauszustreichen. Dazu passt, dass es Suhrkamp gut ein Jahrzehnt zu spät nach Berlin zieht, der Berlinboom in der Verlagsbranche lange abgeflaut ist (sich aber auch nie gerechnet hat). Dazu passt, dass die zukünftig für Lesungen und Diskussionsrunden dienenden Räumlichkeiten im alten, alles andere als blühenden Westberlin gewählt wurden. Und dazu gehört es selbstredend, dass Unseld-Berkéwicz in ihrer Eröffnungsrede wieder einmal die Platte von der Verlagskonzentration in den USA und Deutschland auflegt, vom Niedergang der unabhängigen Verlage, dass sie dem anwesenden Klaus Wagenbach ihren Respekt ausspricht und Siegfried Unseld aus einem Brief an Wolfgang Koeppen zitiert: „Der Suhrkamp Verlag wird seine Arbeit weitermachen wie bisher, und die Literatur wird immer so lebendig sein, wie Autoren das schaffen, und nicht wie gewisse Leute dies gern möchten.“

Ein Satz, den man als gezielten Hinweis an der zuletzt heftigen Kritik am Suhrkamp-Geschäftsgebaren verstehen kann, nachdem Marketingleiter Georg Rieppel nach nur kurzer Tätigkeit seinen Schreibtisch räumen musste. Trotzdem haben alle der Einladung des Verlages brav Folge geleistet, es ist, wie jedes Jahr in Frankfurt auf dem Kritikerempfang, brechvoll, und ein Blick auf die spartanische Einrichtung fällt schwer: Weiße Wände mit Zitaten von Benjamin, Brecht oder Proust hier, einem Unterschriftensammelsurium von Siegfried Krakauer bis Marica Bodrozic dort, als Mobiliar Stühle und Tische, die aus Thomas Bernhards Vierkanthof genauso stammen könnten wie vom altasiatischen Möbelhändler gegenüber, nur eine Bücherwand. Hier ist, so kann man das übersetzen, das Buch eine geheiligte Ware. Hier ist nicht der Kapitalismus Religion, sondern der große, reine Gedanke.

Dazu will Klaus Wowereit so gar nicht passen, der in seiner tolpatschig-flapsigen Art die vier Räume in seiner Ansprache „bescheiden“ nennt, dann „bescheiden-großbürgerlich“. Wowereit meint das vor dem Hintergrund des massiven Erscheinens von Dichtern und anderer Persönlichkeiten, von Suhrkamp-Autoren in spe wie Kristof Schreuf über gestandene Suhrkampler wie Thomas Meinecke oder Norbert Gstrein bis zum Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker und dem neuem Suhrkamp-Stiftungsratsmitglied Christina Weiss. Auch Gottfried Honnefelder ist da, der neue Börsenvereinsvorsitzende, der nach der von Unseld-Berkéwicz vorgenommenen Verkündung des mit 50.000 Euro dotierten Preises der Siegfried-Unseld-Stiftung an die dänische Lyrikerin Inger Christensen („Die Aprikosenbäume gibt es“) seinerseits verkündet, dass auch die Suhrkamp-Leiterin ausgezeichnet wurde, mit einem italienischen Verlegerpreis, was besonders Inge Feltrinelli viel Beifall wert ist.

All das aber und vor allem die Eröffnung dieser Repräsentanz soll auch suggerieren: Da geht was bei Suhrkamp! Gegenwart, das bedeutet neben der gern von den Feuilletons beschworenen „Sorge um Suhrkamp“, vielleicht sogar sowas wie Aufbruch.

GERRIT BARTELS