bücher für randgruppen
: Klärende Blicke: „Transsibirische Bahn“ und „Eurasienstab“, zwei neue Joseph-Beuys-Dokumentationen

Zwanzig Jahre nach dem Tod von Joseph Beuys werden die Karten neu gemischt. Der charismatische Superstar, dessen öffentliche Auftritte hochspannend und oft verwirrend waren, befand sich aufgrund seiner hohen moralischen Ansprüche immer in der Gefahr, an ebenso strengen Kritiker-Maßstäben gemessen zu werden. So empörte sich Inga Humpe auf der Bühne über ihr Honorar, das sie für einen Pausenmusikauftritt ihrer Band Neonbabies während einer Diskussion mit Beuys in der HdK in Berlin erhielt: „Der kriegt so viel Geld für eine alte dreckige Badewanne, und wir nur 1.000 Mark Gage!“

Das Berliner Stadtmagazin Zitty monierte dagegen, dass Beuys Pate für ein besetztes Haus spiele und abends mit dem Hauseigentümer und Kunstsammler Marx im Restaurant edel speisen würde. Dass er den Besetzern fünfzehn Zeichnungen, also das halbe Haus geschenkt hatte, war dem Autor nicht der Erwähnung wert. In einem anderen Essay schrieb der Medienkünstler Peter Weibel von der Komplizenschaft einiger Künstler mit Kapital und Kommerz: „Keith Haring macht Werbung für Swatchuhren“ – und reihte Beuys mit ein („macht Werbung für japanischen Whisky“) – ohne zu erwähnen, dass Beuys die vollständigen Einnahmen einer japanischen Naturschutzorganisation spendete, was als integraler Bestandteil der Werbung sichtbar vermerkt war.

Man könnte sagen, Beuys wurde durch die häufigen Angriffe auf seine moralische Integrität immer heiliger, fast ein wenig zu heilig: Sein Humor, seine Ironie verschwanden, und er wurde für manche tatsächlich zum Erlöser. Doch es geht auch anders. Vor einem Jahr bezeichnete Hanno Rauterberg Beuys in der Zeit als Künstler, der Auschwitz verdränge, den Holocaust verharmlose und dem Germanenkult fröne. Beuys’ Spiel mit Bedeutungen und seinen Zuordnungen wurde nun in erschreckender Eindeutigkeit beantwortet: Braun gleich Nazi und der Hase Germanensymbol. Da fehlte bloß noch ein Hinweis auf die Grünen. Beuys war Mitbegründer der Partei und Spitzenkandidat im Jahre 1979: Hasenblut und Erdtelefon. Der Hang zum Gesamtkunstwerk ist dem Bedürfnis nach Klarheit gewichen.

Vielleicht regt ja der Blick in das Beuys Medien-Archiv an, um den Blick im Abstand zu klären. In zwei neuen Dokumentationen finden sich Bildmaterialien und Texte zu den Projekten „Transsibirische Bahn“ und „Eurasienstab“. In grauen Schubern liegen je ein Buch und eine DVD, klar, schlicht und grafisch ansprechend umgesetzt. In „Transsibirische Bahn“ schwankt eine Kamera geradezu trunken über die Installation von Beuys. Der spricht von dem „Filmalternativkünstler“, dessen Name er vergessen hat und der seinem Werk durch Überblendungen noch ein paar filmische Deutungen hinzufügt. Der einzige Ton der Aktion, Schläge mit dem Hammer, findet sich im „Gespräch am Strand zu lang“, visualisiert durch das Objekt Thorshammer. Beuys erscheint im wuchtigen Pelz wie ein Popstar.

In Eurasia, das Europa und Asien vereint, einem freien, demokratischen, sozialistischen Staat, den Beuys 1967 entwickelt, hoppelt ein Häschen von Ost nach West und von West nach Ost.

Der Eurasier selbst, ein kleines Geschöpf aus Maschendraht und Mullbinden, steht unschlüssig am Rande eines Filzquadrats. Ein kleiner Stab ragt aus seinem bandagierten Körper. Während Joseph Beuys beim Aufbau der Metallstäbe, Fettecken und Filze für „Eurasienstab“ durch eine unter seinem Fuß montierte Metallplatte behindert wird, erklingt schöne, sphärische Orgelmusik von Henning Christiansen – es hat schon ein bisschen was von einem Gottesdienst.

WOLFGANG MÜLLER

Joseph Beuys: „Transsibirische Bahn“. Mit Texten von Eva Beuys, Wenzel Beuys und Eugen Blume. Steidl Verlag, Göttingen 2004, 32 Seiten, DVD, 30 Euro Joseph Beuys: „Eurasienstab“. Mit Texten von Eugen Blume, Klaus D. Pohl, Eva Beuys, Wenzel Beuys. Steidl Verlag, Göttingen 2005, 56 Seiten, DVD, 30 Euro