Lernen für die Zivilgesellschaft

Von Aidsinitiativen bis zu Ökoprojekten: Die Weltbank verhilft in China mit dem „Marktplatz der Entwicklung“ unabhängigen Organisationen zu mehr Öffentlichkeit

„Das Wichtigste ist, dass wir hiereine öffentlichePlattform kriegen“

PEKING taz ■ „Ich will zur Schule gehen“ steht in chinesischen Schriftzeichen auf einem Anmeldeformular für die Grundschule, das die 7-jährige Liang Xiaiping eigenständig ausgefüllt hat. Als Zuo Jing das Mädchen vor einem halben Jahr auf der Straße in Kunming, Hauptstadt der Provinz Yunnan, aufgesammelt hatte, konnte es noch nicht einmal seinen Namen schreiben. Stolz zeigt Jing das Formular als ersten Erfolg ihrer noch jungen Graswurzelorganisation, der sie den Namen „Community Love Classroom“ gegeben hat und die sich um die Ausbildung und Wiedereingliederung von Straßenkindern kümmert.

Jings kleine Organisation ist eines von 100 Projekten, die sich in den vergangenen zwei Tagen auf dem „Marktplatz für Entwicklung“ in Peking vorstellen konnten. Erstmals wurde in China das Weltbank-Projekt ausgetragen, das die Zivilgesellschaft fördern soll. „China hat trotz großer Fortschritte in der Armutsbekämpfung weiterhin große soziale Konflikte und überall sichtbare Umweltprobleme“, sagte David Dollar, Direktor des Chinabüros der Weltbank. Die Regierung könne diese Probleme nicht allein lösen. „Darum muss sich eine Zivilgesellschaft bilden, die die lokalen Probleme angeht.“

Knapp 1.000 Gruppen aus 28 Provinzen und autonomen Regionen haben sich bei der Weltbank beworben – unter anderem Aidsinitiativen, Umwelt- und Energieprojekte, Rechtshilfeorganisationen, Ökotourismusprojekte und Frauenfördergruppen. International so genannte Nichtregierungsorganisationen unterliegen in China der Kontrolle der Regierung, doch versuchen sie ihre Freiräume stetig zu vergrößern. Eine regierungsunabhängige Finanzierung ist dabei hilfreich. 30 der 100 ausgewählten Gruppen erhalten außerdem von der Weltbank, deren größter Kunde China ist, bis zu 30.000 Dollar als Starthilfe zusätzlich.

„Leider sind wir nicht unter den Gewinnern, aber das Wichtigste ist, dass wir hier eine öffentliche Plattform kriegen“, sagt Zuo Jing. Erst im April letzten Jahres hat sie ihre Initiative gegründet. Damals schrieb sie an ihrer Abschlussarbeit für den Master of Business. „Mein Ziel war es, viel Geld zu machen und sozial aufzusteigen“, erzählt die junge Frau. Dann aber habe sie die vielen Kinder gesehen, die in Kunming den Müll sortieren oder Tag für Tag Kohlebriketts aus Kohlenstaub zusammenpressen. 500 bis 600 Rimbini im Monat (umgerechnet etwa 60 Euro) bekommen sie dafür. Mit dem Geld müssen sie ihre Familien unterstützen, die oft illegal als Wanderarbeiter in die Stadt gezogen sind. „Aber das Leben auf der Straße ist sehr gefährlich“, berichtet Jing. Die Arbeit im Müll verursache schwere Gesundheitsschäden. Zudem seien Schlepperbanden unterwegs, die kleine Jungen entführten, um reichen und kinderlosen Familien einen Stammhalter zu verschaffen.

Drei Klassenzimmer hat Jing in Kunming bis jetzt eingerichtet. 70 Lehrer unterrichten freiwillig jeden Tag von 9 bis 17 Uhr die 4- bis 14-jährigen Schüler. So sollen sie auf den Eintritt in die staatlichen Schulen vorbereitet werden. Jing selbst läuft tagsüber „von Mülltonne zu Mülltonne“, wie sie sagt. Am schwierigsten sei es aber, die Eltern von der Ausbildung ihrer Kinder zu überzeugen: „Zwingen können wir niemanden.“JOHANN VOLLMER