Das Morden geht weiter

„Nur wer Geld hat, erfährt Gerechtigkeit“: Auch zwei Jahre nach dem Sturz des despotischen Präsidenten Aristide werden in Haiti Morde an Journalisten lieber vertuscht als aufgeklärt

AUS PORT-AU-PRINCEHANS-ULRICH DILLMANN

Es war ein hinterhältiger und feiger Mord. In der Nacht des 3. Dezember 2001 lauerte eine Gruppe von Männern dem Rundfunkjournalisten Brignol Lindor auf seinem Weg ins Studio von „Radio Echo 2000“ auf. Lindor moderierte in der 70 Kilometer südwestlich von der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince gelegenen Kleinstadt Petit-Goâve die Sendung „Dialogue“. Ohne Zensur ließ er Zuhörer zu Wort kommen. Mit Macheten, Steinen, Schaufeln und einer Spitzhacke hieben die Männer auf den Journalisten ein.

Ein Teil der Täternamen ist bekannt, sie gehören einer Gruppe von Anhängern des vor zwei Jahren gestürzten Staatspräsidenten Jean-Bertrand Aristide an: Domi Nan Bwa, „Wächter des Waldes“, nannten sich die militanten Aktivisten von Fanmi Lavalas, der von Aristide gegründeten Erdrutsch-Bewegung. Lindors Frau floh aus Angst vor der Rache der „Waldwächter“ ins Ausland. Sein Cousin Ives Lindor suchte in der Dominikanischen Republik Zuflucht.

Eineinhalb Jahre zuvor war vor dem Gebäude von „Radio Haïti Inter“ Jean Dominique erschossen wurden. Der 69 Jahre alt gewordene drahtige Mann war einer der Rundfunkpioniere Haitis. Mit scharfer Zunge kommentierte er die politischen Ereignisse im Armenhaus Lateinamerikas, nicht immer zur Freude der Lavalas-Anhänger. Dabei hatte Dominique immer auf die sozialen Postulate von Jean-Bertrand Aristide gesetzt. Allerdings ließ er sich durch seine Sympathien nicht den Blick versperren – und schon gar nicht einen Maulkorb anlegen. Dominiques Frau musste den Sender schließen, nachdem sie auch Todesdrohungen erhalten hatte. Sie lebt heute im Ausland.

Die Täter sind bekannt

Sechs Jahre nach dem Mord an Jean Dominique laufen die Mörder noch immer frei herum, auch die Teilnehmer an der Lynchaktion gegen Brignol Lindor wurden nicht vor Gericht gestellt. „Wir hatten gehofft, dass mit dem Ende der Aristide-Ära die Repression gegen Journalisten aufhört“, sagt Ronald Colbert, Mitgründer des unabhängigen Pressedienstes AlterPresse, „und vor allem die Verbrechen aufgeklärt und die Täter vor Gericht gestellt werden“. Bisher Fehlanzeige, wie die internationale Journalistenvereinigung Reporter ohne Grenzen immer wieder öffentlich kritisiert.

Auch das Versprechen von Interimspräsidenten Boniface Alexandre, die Verbrechen gegen die Journalisten aufzuklären, ist bis heute nicht eingelöst worden. Im Gegenteil: Das Morden geht weiter. Ronald Colbert: „Wir waren geschockt, als dann unser Freund Jacques Roche im Juli des vergangenen Jahres entführt und fünf Tage später ermordet und verstümmelt aufgefunden wurde.“ Roche, Mitarbeiter der Tageszeitung Le Matin, moderierte die sozialkritische Sendung „Rendevoux Social Civil“. Prompt hätten „die Lavalas-Anhänger in ihm einen Vertreter der Aristide-Opposition gesehen. Darin besteht für mich der Zusammenhang“, sagt Colbert. Die Täter sind nicht gefasst.

Clarens Renoir, Leiter des haitianischen Büros der internationalen Nachrichtenagentur Agence France Press (AFP), ist in seiner Kritik an der mangelnden Aufklärung der Verbrechen gegen Rundfunkmitarbeiter und Mitglieder der haitianischen Presse grundsätzlicher. „In Haiti wurden Journalisten vor, während und nach der Aristide-Ära ermordet“, sagt der Gründer des „Haiti Presse Network“.

Kinder ins Exil geschickt

An Aristide könne es nicht nur gelegen haben, dass die Fälle Lindor und Dominique juristisch bisher nicht aufgearbeitet wurden, gibt Renoir zu bedenken – schließlich lebe der ehemalige Präsident seit zwei Jahren im südafrikanischen Exil. Vielmehr interessiere niemand in den Regierungsgebäuden und Ministerien eine schonungslose juristische Aufarbeitung.

„Nur wer Geld hat, erfährt Gerechtigkeit“, sagt der AFP-Mann, dessen zwei Kinder aus Sicherheitsgründen bei seinem Bruder in Miami leben. Die Ermordung seiner Kollegen werfe ein Schlaglicht darauf, wie in Haiti generell und noch immer mit der Pressefreiheit umgegangen werde: „Wenn wir nicht genehm berichten, dann werden wir nach dem Motto ‚Wer nicht für mich ist, ist gegen mich‘ zu Feinden erklärt.“ – Es gibt in Haiti eben keine Gerechtigkeit, weder für Journalisten noch für andere.