Zwei gewichtige Europäer

Der ehemalige EU-Kommissionspräsident Romano Prodi will bei der nächsten Wahl in Italien Silvio Berlusconi aus dem Amt jagen – helfen lässt er sich dabei von seinem alten Kumpel Helmut Kohl

aus ROM MICHAEL BRAUN

Italiens Presse war sich gestern einig, dass der deutsche Christdemokrat sich mit seinem Blitzbesuch in Rom massiv in den italienischen Wahlkampf eingeschaltet hat: zugunsten Prodis, und das bedeutet: gegen Silvio Berlusconi.

Ein diplomatischer Trick sorgte für die elegante Verpackung: Die beiden kamen bloß zu einem „rein privaten Gespräch“ zusammen. Das jedenfalls war noch am Vormittag die Sprachregelung, die Prodis Mitarbeiter auf Nachfrage ausgaben: Es sei „absolut kein öffentlicher Auftritt“ geplant. Italiens Oppositionskandidat hatte aber zu dem vorgeblichen Privatplausch einige Journalisten der großen italienischen Tageszeitungen La Repubblica, Corriere della Sera und La Stampa hinzugebeten.

Kein Kommentar

Denen verweigerte der Exkanzler zwar jeden Kommentar zur Regierung Berlusconi und erinnerte daran, dass er selbst sich von der Mitte der Neunzigerjahre an für die Aufnahme der Berlusconi-Partei Forza Italia in die Europäische Volkspartei stark gemacht hatte. Forza Italia habe er in der europäischen Familie der christdemokratischen und konservativen Parteien haben wollen, „weil es sich nicht bloß um eine Person handelte, sondern um eine Gruppierung“.

Ansonsten sang Kohl das Hohe Lied auf den „Freund Romano“, dem er nicht bloß verbunden sei, weil der ihm „am tragischsten Tag meines Lebens, am Tag der Beerdigung meiner Frau“, zur Seite gestanden habe, im Dom von Speyer, als Prodi eine Bank hinter Kohl saß. Dass die beiden sich mögen, ist schon länger bekannt; Prodi war der einzige italienische Gast auf Kohls Party zum 75. Geburtstag.

Doch um persönliche Freundesbande ging es Kohl diesmal nicht so sehr. Prodi sei vor allem ein überzeugter Proeuropäer, und da folgte die zweite Spitze gegen Berlusconi, zur Veröffentlichung in die Notizblocks der italienischen Journalisten diktiert. Er habe nie etwas von italienischer Politik verstanden, so Kohl, „aber es galt immer ein Prinzip, an dem ich mich als deutscher Kanzler orientieren konnte, und das bestand darin, dass die Regierung in Rom pro-europäisch war, heute aber fehlt mir dieses Feeling“. Prodi durfte sich dann noch von Kohl in eine Reihe mit europäischen Groß-Staatsmännern wie Churchill und Adenauer stellen lassen, und der deutsche Gast erinnerte daran, dass der jetzige italienische Oppositionsführer Italien mit Kohls Unterstützung in den Euro geführt hatte. So könnte es doch in Zukunft weitergehen – auch wenn Kohl die Selbstverständlichkeit unausgesprochen ließ, dass dazu ein Wahlsieg des Anti-Berlusconi-Lagers um Romano Prodi gehört: „Ich bin gern gekommen, und ich möchte, dass meine Anwesenheit hier als Unterstützung für Prodi, den großen Europäer, wahrgenommen wird.“ Schließlich zählten in Europa „nicht bloß die Institutionen, sondern auch die Personen“.

Seliges Lächeln

Diesem Werbespot für den Oppositionskandidaten folgte noch ein gemeinsamer Stadtspaziergang inklusive Abschiedsumarmung für die Fernsehbilder, mit einem selig lächelnden Prodi: der weiß, wie bombenfest in Italien der Ruf des quer durch alle politischen Lager als „großer Europäer“ verehrten Kohl ist. Anders aber als die lesende Minderheit der großen nationalen Tageszeitungen erfuhren die TV-Zuschauer nichts von Kohls ziemlich offener Parteinahme – gleich darauf gab es nämlich weitere Bilder, die den Alten im Gespräch mit dem Präsidenten des italienischen Abgeordnetenhaus, dem Christdemokraten und Berlusconi-Verbündeten Pier Ferdinando Casini, zeigten und so für scheinbare Ausgewogenheit sorgten; nichts erfuhren die Zuschauer davon, dass Kohl ein Treffen mit Berlusconi abgelehnt hatte und gleich gar keinen Forza-Italia-Vertreter sah.

Aber anders als beim Schwätzchen mit Prodi war bei dem Meinungsaustausch mit dem Parlamentspräsidenten kein Journalist dabei. Entsprechend stinkig zeigte sich Casini nach dem Gespräch. „Ich instrumentalisiere meine Freunde nicht“, ätzte er in Richtung Prodi. Und überhaupt, „mich interessiert doch nicht, was Kohl wählt, auch weil er in Deutschland wählen geht“.