Die bunte Liste

Über die PDS-Basis reden manche wie über ein ungezogenes Kind, das man bloß nicht stören darfViele Jüngere wollen das Grundeinkommen. Und eine Linkspartei, die nicht mehr so staatsfixiert ist

VON STEFAN REINECKE

Sie wirken wie zwei, die sich nicht in die Quere kommen werden. Zum Mindestlohn, einem zentralen Thema der Linkspartei, haben beide im Bundestag geredet und fast das Gleiche gesagt. Gregor Gysi und Oskar Lafontaine sind die Doppelspitze der Linksfraktion, und die Selbstverständlichkeit, mit der sie ihre Jobs machen, ist keineswegs selbstverständlich. Lafontaine wolle sich doch nur an Schröder rächen und habe sowieso keine Lust, sich täglich mit der PDS rumzuärgern. Und Gysi werde nie einen Star neben sich ertragen können. So stand es in vielen Zeitungen, und auch manche Genossen hatten Befürchtungen. Eine Doppelspitze mit zwei Egomanen – wie sollte das klappen?

Doch es klappt. Die beiden wirken wie zwei, die nichts mehr müssen, sondern etwas dürfen. Lafontaine scheint seit Schröders Abgang ein Gespenst losgeworden zu sein. Und Gysi scheint mit Lafontaine jemand gefunden zu haben, mit dem er auf Augenhöhe reden kann. Sogar Gysis gefürchteten Endlosmonologe in der Fraktion haben aufgehört.

Doch nicht nur die Spitze ist anders als früher. Auch die Fraktion ist westlicher, bunter, interessanter. Es gibt zwar noch immer viele Ex-SED- und Ex-DKP-Funktionäre. Aber die biografischen Muster sind nicht mehr so uniform.

Katja Kipping sitzt in der Lobby des Bundestages und denkt darüber nach, was die sozialen Bewegungen von ihr wollen. „Sie erwarten, dass wir im Bundestag Rambazamba machen“, sagt sie. „Aber das ist schwierig, weil es oft diffuse Erwartungen sind.“ Sie schätzt die sozialen Bewegungen. Gerade deshalb schaut sie genau hin und meidet die leicht untertänig klingenden Worthülsen, mit der andere Linkspartei-Politiker über die Bewegungen reden.

Kipping ist Vizechefin der Partei. Mit 21 war sie im sächsischen Landtag. Sie ist ein PDS-Role-Model. Sie durchschaut ihre Rolle, mit der die PDS ihr graugesichtiges Image als Rentnerpartei aufpolieren will. „Kann sein, dass sich manche gedacht haben, dass ich auf Fotos hübsch aussehe und sonst nett und harmlos bin.“ Sie weiß, dass sie anders ist: zielstrebig. Ihren Aufstieg verdankt sie keinen paternalistischen Altgenossen. In Dresden hat sie, mit anderen Jungen, eine erfolgreiche Pressure Group gebildet. Ihre Karriere hat sie nicht geschenkt bekommen, sondern selbst organisiert. Kipping ist 27. Sie weiß, was sie will: das Grundeinkommen. Die Erwerbsarbeit schwindet, die Produktivität wächst. Deshalb ist Arbeit, Arbeit, Arbeit, so Kipping, das falsche Motto für die PDS.

Das Thema gehörte mal den Grünen, aber die haben es bei ihrem Aufstieg zum Machtgipfel irgendwo links liegen lassen. Grundeinkommen heißt nicht mehr Sozialstaat, sondern etwas anderes. Und es kann das Projekt für die Linkspartei werden. „Die Flügel in der Partei verlieren an Integrationskraft“, sagt Kipping. Will sagen: Da ist Raum für Neues. Für das Grundeinkommen sind Rechte und Linke in der PDS.

Aber das Grundeinkommen ist mehr als ein konkreter Vorschlag. Es ist eine Chiffre für den Versuch, die staatsfixierte Traditionslinke auf ein neues Gleis zu setzen, sie hedonistisch, libertär und individuell zu denken. Für die PDS und die gewerkschaftsnahe WASG, die beide ideologisch fest in der Arbeitsgesellschaft wurzeln, ist das eine Kulturrevolution. „Wir wollen die Verfügungsgewalt über das eigene Leben“, sagt Kipping – und nicht nur über die Produktionsmittel, wie die alte Linke es forderte.

Manches klingt bei ihr etwas schlicht. Aber sie beherrscht den Tonwechsel, vom offenen Reden zum Politsprech, zur ungenauen Formulierung, die alle Türen offen lässt. Und die Fraktion? Alles läuft rund. Dann klingelt das Handy. Ihr Bruder will sie im Bundestag besuchen. „Was hätte ich davon, die mächtigste Frau im Land zu sein, wenn ich nicht über meinen Terminkalender verfügen könnte“, sagt sie noch. Geradeaus. Ohne Politsprech.

Heidrun Bluhm, eine robust wirkende Mittvierzigerin, ist überrascht. „Warum wollen Sie denn mit mir reden?“ Bluhm kommt aus Schwerin und ist neu im Bundestag. „Das ist alles schon sehr aufregend, eben doch eine andere ‚Liga‘. Jeden Tag Unmengen an Post! Ich tue schon mal so, als wäre ich schon Abgeordnete des Deutschen Bundestages. Auch an die Blitzlichtgewitter in Berlin muss man sich erst gewöhnen.“ So hat sie es in ihrem Mail-Tagebuch geschrieben, ohne Scheu vor schlichter Prosa.

Vor der Wende war sie zehn Jahre lang Lehrerin für Marxismus-Leninismus, zuletzt am Institut des ZK der SED in Schwerin. Es wurde 1989 abgewickelt, Bluhm wurde arbeitslos, sie war eine der Ersten in Schwerin. Anfang der 90er hat sie bei der PDS gearbeitet. Und gekündigt, weil sie es nicht ertrug, Leute zu entlassen. Danach hat sie sich selbstständig gemacht und ein Planungsbüro für Innenarchitektur gegründet.

Es ist nicht so, dass man vor dem Scharfsinn von Heidrun Bluhms politischen Analysen auf die Knie geht. Sie will etwas tun – für unsere Leute. Sie treibt eine Ethik des Anpackens. Von Worten wird niemand satt. In Mecklenburg war sie, anders als die PDS, für den Transrapid, wegen der Arbeitsplätze.

Bluhms Biografie ist typisch für die so genannten Ost-Muttis, für die SED-Funktionärinnen aus dem Mittelbau. In der letzten Fraktion 1998 bis 2002 zählt fast ein Drittel dazu. Die Öffentlichkeit hat sie kaum wahrgenommen, die westliche sowieso nicht. Das war für die Wahlchancen der PDS im Westen günstig. Denn im Westen wählte man mit der PDS das Oppositionelle, Angela Marquardt mit Punkfrisur – nicht das Rüschenhemdhafte, die FDJ-Biederkeit.

In der Linksfraktion 2006 sind Biografien wie die von Heidrun Bluhm eher die Ausnahme. Es gibt sie noch, aber die Mehrheit kommt aus dem Westen. Das ist neu. Mit den Ost-Muttis verschwindet, ganz langsam, die alte PDS. Die PDS, deren Rolle es war, die Integration der abgewickelten Ost-Eliten in die neue Republik symbolisch zu begleiten. Das war die historische Aufgabe der PDS. Es ist die von gestern. Was kommt danach?

Bodo Ramelow spricht schnell, denkt schnell und macht den Eindruck, dass er ziemlich ungeduldig wird, wenn ihm jemand nicht folgen kann. Ramelow ist Vizefraktionsvorsitzender der Linkspartei. Ein Macher, aber keiner von der leer drehenden technokratischen Sorte, sondern mit Reflexionsvermögen. Er kommt in drei Minuten umstandslos von einer Interpretation des fünften Buch Mose zu einer gescheiten Darlegung über die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen. „Was haben die Patienten von einem Krankhaus in öffentlicher Trägerschaft, wenn dort Beamtenmentalität herrscht?“, fragt er. In der Ideologieschlacht der PDS, ob der Verkauf von öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften Verrat ist, interessiert ihn das Dritte. Nicht Ja oder Nein. Denn Staat ist nicht immer gut, privat nicht immer schlecht. Die Linke sollte sich besser an „vergessene Genossenschaftsmodelle erinnern“.

Ramelow will etwas mit der Linksfraktion. Was, das illustriert eine Geschichte aus Erfurt, die er gern erzählt. Nach dem Brandanschlag auf die Synagoge dort wollte er im Landtag dazu eine Resolution verabschieden – mit der CDU. Viele PDSler fanden das unfassbar. Man kann doch nicht mit denen stimmen, die Rassismus schüren. Ramelows Antwort lautete: „Wollt ihr mit dem Antifaschismus die Mitte bekämpfen oder zusammen mit der Mitte den Faschismus?“ Darum geht es ihm: um die Kommunikation der Linken mit der Mitte der Gesellschaft.

Und die Fraktion? „Etwas Entscheidendes haben wir in der Außenpolitik hinbekommen“, sagt Ramelow. Im Dezember haben sich zwölf Linkspartei-Abgeordnete, darunter Ramelow, bei der Sudan-Abstimmung enthalten. Es ging um die Verlängerung des Mandats der Bundeswehr für Darfur, wo im Windschatten des Weltinteresses ein Massenmord verübt wird.

Die Enthaltungen waren ein glatter Verstoß gegen den Münsteraner Parteitagsbeschluss. Dort hatte die PDS-Basis die Partei auf ein realitätsblindes, absolutes Nein zu allen Militäreinsätzen, auch mit UN-Mandat, festgelegt. So lange Münster gilt, ist nicht nur Rot-Rot-Grün eine Seifenblase. Dieser Fundamentalpazifismus kann, angesichts von Kriegen wie im Sudan, auch in den moralischen Bankrott führen. Münster ist noch immer ein Trauma der Parteielite. Manche in der Fraktion reden über die PDS-Basis wie über ein ungezogenes Kind, das man behutsam mit der Wirklichkeit vertraut machen muss. Ganz langsam und am besten so, dass es davon gar nichts merkt. Wehe, wenn doch.

In der Linksfraktion ist vieles noch in Bewegung, nicht fixiert, nicht hart. Es gibt keine Fundi-Realo-Front, keinen Grabenkrieg Ost gegen West. Das klingt fast zu harmonisch, um wahr zu sein. Aber das sagen viele. Auch Hüseyin Aydin von der WASG, Betriebsrat aus Duisburg. Aydin ist für Entwicklungspolitik zuständig. Fachmann ist er nicht gerade. Das ist ein Strukturproblem der WASG. Sie besteht weitgehend aus Leuten, die sich in Arbeits- und Sozialpolitik auskennen. Doch auch das Learning by Doing gehört zu dem Offenen, zu der Freiheit des Beginns. Es gibt wenig Hahnenkämpfe, wenig Weltanschauungstremolo, viel Binnenpluralismus. Bis jetzt.

Jedem Anfang wohnt eine Zauber inne, heißt es bei Hermann Hesse. Allerdings verfliegt der verlässlich, wenn es ernst wird. Erst dann wird sich zeigen, ob in der Linksfraktion zusammengekommen ist, was zusammengehört. Oder ob der viel gerühmte Binnenpluralismus Kleister für unüberbrückbare Risse ist. Zum Beispiel zwischen aufgeklärten Linken wie Bodo Ramelow und linken Fundis wie Ulla Jelpke.

Eine Vorspiel dafür war die Kuba-Debatte. André Brie, Gabi Zimmer und andere hatten es gewagt, im Europaparlament für eine kubakritische Resolution zu stimmen. Seitdem hagelt es Leserbriefe im Neuen Deutschland, in denen Verrat noch zu den milderen Ausdrücken zählt. Denn Kuba ist für die Mehrheit der PDS ein Symbol, dass man doch anders ist als die anderen – auch wenn die PDS im bankrotten Berlin der Privatisierung von Wohnungsbaugesellschaften zustimmen muss. Kuba ist ein Symbol, dass doch nicht alles falsch war im Realsozialismus. Für eine Minderheit in der Linkspartei ist Kuba auch ein Symbol dafür, ob die PDS Vergangenheitsbewältigung und Menschenrechte wirklich ernst nimmt.

Ulla Jelpke hat versucht, in der Fraktion eine Verurteilung von Brie und Zimmer durchzusetzen. Das wurde abgelehnt – aber nur, um die Kubakrise nicht weiter zu verschärfen. Gestern bescheinigte der Vorstand der Linkspartei Brie und Zimmer, von der Parteilinie abgewichen zu sein, und pflichtschuldig die „aktive und solidarische Unterstützung des kubanischen Volkes“ beteuert. Man will mit aller Macht den Deckel draufhalten. Auch die Reformer, auch Bodo Ramelow und Katja Kipping.

Was wird man zu sehen bekommen, wenn der Deckel mal hochfliegt?