Die Friedrichstraße, ein Missverständnis

Mit dem Hotel Unter den Linden fällt ab heute auch der letzte Stadtplatz an der Friedrichstraße. Die „kritische Rekonstruktion“ steht damit vor ihrer Vollendung. Tatsächlich aber wurde damit Urbanität nicht geschaffen, sondern zerstört. Ein Rückblick

Die Friedrichstraße galt als Symbol für das neue Berlin. Heute ist sie längst aus den Feuilletons verschwunden

VON UWE RADA

Zimmer mit Aussicht gibt es nicht mehr. Auf dem Stadtplatz vor dem „Hotel Unter den Linden“ stehen die Baucontainer, der Abrissbagger ist bestellt. Das ehemalige Interhotel hat vor einigen Tagen geschlossen, mit ihm verschwindet ein letztes Stück DDR aus der Friedrichstraße.

Und die vorletzte Freifläche. An ihrer Stelle entsteht nun, wie es der Geschäftsführer des Münchner Immobilienentwicklers MEAG nennt, „ein Premiumprodukt“. Man kann es auch anders sagen: An Berlins prominentester Ecke Friedrichstraße/Unter den Linden soll bis Ende 2008 ein Büro- und Geschäftshaus aus dem Boden gestampft werden, das mit dem Büro Gerkan, Marg und Partner zwar renommierte Architekten hat, ansonsten aber aussieht wie jeder andere dieser immergleichen Friedrichstraßenklötze.

Und ganz nebenbei soll der Traum von Senatsbaudirektor Hans Stimmann seine Vollendung finden: Die Friedrichstraße wird wieder zu jener urbanen Magistrale, die sie einmal in den 20er-Jahren war, bevor sie vom Krieg und später dann von sozialistischen Stadtplanern verschandelt wurde.

Wirft man derzeit einen Blick in die Feuilletons der großen Blätter, stellt man fest, dass Berlin ungebrochen trendy ist. Am Gendarmenmarkt hat sich eine kleine, aber feine Gourmetszene etabliert, Kreuzberg feiert seine Wiederauferstehung als rockiger Szenebezirk, und Berlin-Mitte ist nach wie vor fest in der Hand von jungen Künstlern aus aller Welt, die sich an der Spree ihren Traum von Freiheit und Abenteuer erfüllen. Nur eine Straße wird in den Berlinfeuilletons kaum mehr erwähnt, obwohl sie doch schon kurz nach der Wende als Inbegriff des „neuen Berlin“ galt – die Friedrichstraße.

Liegt das vielleicht auch daran, dass sich die Friedrichstraße von „Premium-Bauten“ gar nicht mehr retten kann? Dass die Urbanität, die sich die MEAG und Hans Stimmann vom Zuklotzen der Freifläche versprechen, längst aus der Friedrichstraße vertrieben wurde, weil die Stadt hier eng geworden ist, zu eng, um sich darin wohl zu fühlen? Ist die Friedrichstraße, die ja auch dem Kurfürstendamm Konkurrenz machen sollte, gar ein großes Missverständnis?

Ein Blick zurück: Kaum war die Mauer gefallen, fiel vor allem den Westberliner Planern auf, dass in der Berliner Mitte riesige Löcher klafften. Symbolische Löcher wie rund um den Fernsehturm und die Marienkirche, wo einst die Berliner Altstadt war, und ganz reale wie an der Friedrichstraße. Erich Honeckers Renommierprojekt, die sozialistischen Friedrichstadtpassagen, waren nämlich noch vor ihrer Vollendung vom Ende des Sozialismus überholt worden.

Diese Löcher mussten natürlich gestopft werden. So entstanden die neuen, diesmal kapitalistischen Friedrichstadtpassagen und auch der Plan von der „kritischen Rekonstruktion“ der Friedrichstadt zwischen Checkpoint Charlie und Bahnhof Friedrichsstraße.

Für Hans Stimmann, der sein Amt 1991 antrat, war das erklärte Ziel die Revitalisierung der Innenstadt durch die Wiedergewinnung der alten Straßenfluchten, durch Blockrandbebauung und Einhaltung der Berliner Traufhöhe. Ein entsprechendes Gutachten der Planer Dieter Hoffmann-Axthelm und Berhard Strecker von 1992 wies dafür 60 Hektar Spielwiese aus, das Klötzchenspiel konnte beginnen.

Waren die neuen Friedrichstadtpassagen noch das Werk von Stimmanns Vorgänger, dem Investorenbeauftragten Hanno Klein, sollte der Lindencorso zum Lackmustest der „kritischen Rekonstruktion“ werden. Die Messlatte war jedenfalls hoch, wie eine Tafel am Bauzaun verkündete. Auf ihr hieß es: „Die Friedrichstraße war im alten Berlin eine renommierte Einkaufsstraße und zentraler Treffpunkt des umliegenden Kultur- und Vergnügungsviertels.“ Und so sollte sie auch wieder werden an jener Ecke Friedrichstraße/Unter den Linden, gegenüber dem gleichnamigen Hotels. Heute weiß man es besser. Wo einst der Bauzaun die Wiederbelebung der 20er-Jahre versprach, befindet sich seit langem schon das „Automobil-Forum“, übrigens nicht der einzige Auto-Showroom in der Friedrichstraße.

Doch das ist nicht alles. Bevor der neue Lindencorso gebaut wurde, befand sich an der südöstlichen Ecke der Kreuzung Friedrichstraße/Unter den Linden, eine ähnliche Freifläche, wie sie nun vor dem Hotel unter den Linden geopfert wird. Nach den Vorstellungen der DDR-Planer sollte die Friedrichstraße breit und freizügig werden, und die symbolische Kreuzung war auch der symbolische Ort, an dem dieses verwirklicht werden sollte.

Dass dies nicht bloß Ideologie war, sondern auch gelebter Alltag, zeigte das Café Espresso im alten Lindencorso. Nicht nur Parteigänger trafen sich dort, sondern auch sozialistische Müßiggänger. Im Mövenpick im neuen Lindencorso trifft sich niemand.

Einer der wenigen Orte, an denen man sich an der Friedrichstraße heute trifft, ist die Gourmetetage im Keller der Galeries Lafayettes. In der Tat ist der Glaspalast des Pariser Architekten Jean Nouvel ein Lichtblick. Doch dieser Lichtblick ist die Ausnahme. Normalerweise geht es an dieser Straße steinern und düster zu wie in einem Hochsicherheitstrakt, wo sich rechts und links des Erschließungsganges die fast fensterlosen Zellen aneinander reihen.

Rückbesinnung auf die „Berlinische Architektur“ heißt die monströse Monotonie im Vokabular des Senatsbaudirektors. Mit preußischer formaler Strenge, so die Überzeugung von Hans Stimmann, sollte sich Berlin von der internationalen Investorenarchitektur der anderen Städte in Europa und der ganzen Welt unterscheiden.

Unverwechselbar ist die Berlinische Architektur tatsächlich, soll heißen unverwechselbar öde und langweilig. Und mit der Neubebauung des Stadtplatzes vor dem Hotel Unter den Linden wird es noch langweiliger und öder werden. Zwischen Friedrichstraße und den Linden wird der Blick immer wieder abgleiten von den Sandsteintapeten und in jedem Gebäude die Kopie eines anderen sehen. Sandsteinsockel, Attika, fertig ist die Straße da.

Dabei gab es einmal andere Vorstellungen von Unverwechselbarkeit – Mies van der Rohes Entwurf für ein gläsernes Hochhaus nördlich des Bahnhofs Friedrichstraße zum Beispiel. Doch Hochhäuser waren den Verfechtern der berlinischen Architektur nicht berlinisch genug. So entsteht nun auch im oberen Abschnitt der Straße das ewig gleiche Einerlei mit den ewig gleichen Lochfassaden. Der britische Independent meinte dazu einmal, Berlin werde wieder zu einer „Knobelbecher-Stadt, an der Hitler seine Freude gehabt hätte“.

Das war natürlich Quatsch und typisch britisch, aber ebenso typisch preußisch ist die Friedrichstraße geworden. Wenn das Hotel Unter den Linden weg und die Ecke zugebaut ist, wird man nur noch wenig Gründe haben, sich in diesen Teil des „neuen Berlin“ zu verirren.

Einer von ihnen ist der Tränenpalast. Der steht nicht nur auf der nun letzten Freifläche an der Nord-Süd-Magistrale, sondern er ist auch als Spielstätte der letzte Freiraum im Klotzen-statt-kleckern-Berlin. Aber selbst dem Tränenpalast droht das Schicksal des Hotels Unter den Linden. Vom Finanzsenator an einen Immobilienentwickler veräußert, steht er zwar nicht vor dem Abriss. Ob und wie der Betrieb weiter gehen kann, entscheidet nun aber der Investor.

So wird sie buchstabiert, die neue Urbanität in der Friedrichstraße. Wahrlich kein Lichtblick.