Brav lächeln die Pärchen vor der Mustertapete

Starker Anfang, allzu glückliches Ende: Jorinde Dröse inszeniert Shakespeares „Sommernachtstraum“ am Thalia Theater Hamburg – und nimmt dem Bösen die Spitze

Wenn Puck die Liebenden verblendet, weisen die sich untereinander schnöde ab: „Ich mach jetzt Schluss“

Hoffnungslose Romantiker haben es mittlerweile schwer mit dem „Sommernachtstraum“. Lange Zeit galt dieses Stück von Shakespeare als lustige Laub- und Liebeskomödie, die allen nächtlichen Verwirrungen zum Trotz im Morgengrauen mit kleiner Katerstimmung und großem Hochzeits-Happy-End ausklingt – alles nur geträumt. Bei nüchterner Betrachtungsweise offenbart sich nicht nur die nackte Triebhaftigkeit unter dem Liebesgesäusel, das Stück endet auch zumindest mit einer Zwangsheirat. Denn erzählt nicht gleich der Beginn, dass Theseus, Herrscher am athenischen Hof, seine Braut mit Waffengewalt erobert hat?

So sieht es auch Jorinde Dröse am Hamburger Thalia Theater. Zumindest am starken Anfang des Abends. Dieser Theseus, den Norman Hacker aasig spielt, hat den roten Teppich, den er seiner Zukünftigen ausrollt, auch benutzt, um sie darin wie ein Stück Jagdbeute nach Hause zu schleppen. Tot ist sie noch nicht, aber verstummt bis zur Willenlosigkeit. Die Bedrohlichkeit, die Hacker dabei ausstrahlt, entspricht dem pervertierten Liebesprinzip: Liebe ist, wenn es kein Entrinnen gibt.

Von der Rücksichtslosigkeit der Obsessionen sind im „Sommernachtstraum“ auch die jungen Anfänger in Sachen Liebe nicht frei. Die Idylle der Unschuld trügt. Richtet nicht gerade die erste Liebe die größten Schäden an? Die Viererkonstellation, in der jeder jemand unerwidert liebt, nutzt jedenfalls jede Chance zur Verwirrung der Gefühle wie zur Verwirrung der Machtverhältnisse. Helena leiht sich mit widrigen Erklärungen die retro-schicken Klamotten von Hermia, um ihr Lysander auszuspannen. Demetrius hält Helena wie einem Hund ein Stöckchen vor die Nase. Die beiden Männer werben im Bizepsvergleich um die Gunst der Frauen, als beweise Muskelmasse irgendetwas. Und wenn Puck mit dem Zauberblumensaft die Liebenden verblendet, dann weist man sich so schnöde und knallhart ab, wie es nur Heranwachsende im Austausch-Schüler-Alter tun: „Ich mach jetzt Schluss.“

Dröse baut in die Shakespeare-Dialoge geschickt den Alltagsjargon Heranwachsender ein. Das hat schon an der Experimentierbühne Thalia in der Gaußstraße gut geklappt, von wo aus sich die junge Regisseurin stetig an die Große Bühne herangearbeitet hat. Dabei hat sie manchmal mitten in das schwarze Herz der Leiden der Jugend gezielt. Doch weh tut dieser kunterbunte „Sommernachtstraum“ immer weniger, je länger er dauert und je weiter er nicht nur in die Komödie, sondern auch ins Comedyfach abrutscht. Dabei hat es so packend angefangen mit Theseus, aber dann erstickt es im harmlos Comic-Haften, sobald der Elfenkönig Oberon auftaucht. Als Mischung aus Batman, Herr-der-Ringe-Elfe, anarchischem Springteufelchen hat man es mit keinem Repräsentanten des Bösen zu tun, sondern einen durchtriebenen Wicht aus einem Kinderzimmer.

Witzfigur, die er ist, sind ihm alle Rückbezüge auf Metaphysik und die Natur der Liebe gestrichen, und Puck gehorcht ihm mit der bocklosen Langeweile eines oberbegabten Klassenprimus, der weiß, dass er eigentlich woandershin gehört. Woandershin wollen auch die Handwerker, denen eine Bewerbungsanzeige in die Hände geraten ist. Dröse zeigt die Truppe um Zettel als Arbeitslosen-Initiative, die Geld machen will mit dem Theaterspiel an Theseus Hof. Doch so hanseatisch tölpelig und peinlich übereifrig im „Ich weiß da was“-Ton agiert der Trupp, dass vom guten Willen zum Aufstieg in der Kunst nicht viel übrig bleibt, außer ein paar Gags auf Shakespeares Kosten.

In der tragikomischen Romanze, die sie einzustudieren haben, gibt es das noch: den hohen Ton, das Pathos der idealisierten Liebe, die Shakespeare’sche Tragik. Nicht so bei Dröse, die das Happy-End des Stücks als Einrichtung im Standardleben deutet. Am Ende stellt man sich mit Theseus zum gemeinsamen Familien-Hochzeitsfoto auf: von Liebesraserei nichts mehr zu spüren, drei moderne Pärchen, brav lächelnd vor der Mustertapete. Wäre der Zauber der Liebesraserei mächtiger gewesen, käme das tatsächlich einer morgendlichen Ernüchterung gleich.

SIMONE KAEMPF