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: „The Man Who Copied“ von Jorge Furtado

Original einlegen, Anzahl der Kopien eingeben, die Helligkeit bestimmen, darauf achten dass immer genug Papier im Fach liegt und auf den Start-Knopf drücken. Das ist der Job des zwanzigjährigen André in einem Copyshop in der Hafenstadt Porto Alegre. Eine stupide und schlechtbezahlte Arbeit, und doch birgt sie ganz überraschende Möglichkeiten, wie man in diesem brasilianischen Spielfilm erfahren kann. So bildet André sich etwa durch das Material, dass er kopiert.. Einmal musste er einen Gedichtband von Shakespeare kopieren, und ein Sonett hat ihm so gut gefallen, dass er es auswendig lernte. Allerdings hat er den Schluss nie gelesen, weil er nicht auf den kopierten Seiten war, und der Sinn einiger Worte blieb ihm verborgen. So ist das Weltbild von André sehr fragmentarisch, und dies wird durch eine assoziative Montage des Films deutlich, die Fotos, Comiczeichnungen, Buchseiten und Szenen aus dem Alltag zu einer bunten und zum Teil sehr komischen Collage verbindet.

Mit genau dieser Technik machte sich der Regisseur Jorge Furtado mit „Insel der Blumen“ international einen Namen, denn dieser gilt als einer der gelungensten und provokantesten Kurtfilme der späten 80er Jahre. Der erste Akt von „The Man who Copied“ wirkt wie eine Fortsetzung davon, und so bekommt man durch die extrem zugespitzten Geschichtchen eine exemplarische Einführung in die Lebensumstände von armen Jugendlichen in Brasilien. Doch zum Glück hat der Filmemacher selber gemerkt, dass diese Methode alleine keinen Langfilm trägt, und so beginnt er langsam, auch konventionell zu erzählen. Und zitiert dabei gleich den Altmeister Hitchcock, denn wenn André nachts mit einem Fernrohr die Häuserfronten gegenüber absucht, und dabei seine heimliche Liebe Silvia beobachtet, ist dies ein direktes Zitat aus „Ein Fenster zum Hof“.

Auch für den Rest des Film macht Furtado kräftig Anleihen beim Genrekino, denn André verspinnt sich immer mehr in eine hochkomplizierte Kriminalgeschichte, die damit beginnt, dass er sich grundsätzlich fragt, was er mit seinem neune Arbeitsgerät, einem hochmodernen Farbkopierer, so alles machen kann: Geld kopieren, zum Beispiel! Zuerst nur, um Silvia zu imponieren, fälscht er einen Geldschein, und dies gelingt ihm so gut, dass er bald zusammen mit seinem Freund Cardoso einen viel größeren Coup plant. Der Regisseur lässt den Plot nun übermütige Purzelbäume schlagen, und am Schluss gibt es sogar noch eine Enthüllung, die alles bis dahin Gesehene in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt. Das ist manchmal dann doch zu viel des Guten, aber zum Glück nimmt sich Furtado bei der Zeichnung seiner Figuren mehr Zeit bei der hyperaktiven Vermengung der Handlungsstränge. André wird etwa in der ersten Einstellung an einer Supermarktkasse gezeigt, wo er zuwenig Geld hat, um alles zu bezahlen, was die Kassiererin schon für ihn eingetippt hat. Das ist so peinlich, dass er natürlich sofort die Sympathien aller gewinnt. Ähnlich geschickt wird Silvia eingeführt, und selbst Andrés Arbeitskollegin Marinés, die als kurvenreiche Blondine zuerst nur als Projektionskörper für Andrés unausgelebte Phantasien zu agieren scheint, bekommt langsam Konturen und wird später zu einer sympathischen und durchaus gewitzten Heldin.

Furtado zeichnet ein im Grunde pessimistisches Bild von der heutigen Zuständen in seinem Land, in dem junge Menschen wie André und seine Freunde keine Perspektive haben. Dass sie am Schluss des Films dennoch reich und glücklich aus ihrer kleinen Welt ausbrechen und nach Rio fahren, wird nur durch so viele glückliche Zufälle möglich, dass das zynische Fazit des Films lautet: die Jugend von Brasilien hat kaum größere Chancen als beim Lotteriespiel. Wilfried Hippen