„Eine Art Völkerverständigung“

Am Sonntag und Montag zeigt das ZDF den Zweiteiler „Dresden“ über die Bombardierungen im Februar 1945. Kann das gut gehen? Ein Gespräch mit „Dresden“-Produzent Nico Hofmann über gute Eventmovies – und schlechte Eventmovies

Interview Christian Buss

taz: Herr Hofmann, herzlichen Glückwunsch zu „Dresden“. Es ist der erste zeitgeschichtliche Fernsehblockbuster von Ihrer Produktionsfirma teamworx, den wir wirklich toll finden. Wie kommt es, dass im gleichen Haus Trümmer-Schmonzes wie „Die Luftbrücke“ und so ein komplexes, bewegendes, ungeschöntes Kriegsmelodram wie „Dresden“ produziert werden?

Nico Hofmann: Ich halte „Die Luftbrücke“ für einen ganz großartigen Film. Dass unsere Produktionen so unterschiedlich aussehen, hat einfach damit zu tun, dass sie von unterschiedlichen Teams gedreht werden. Die Regisseure und Autoren entscheiden mit ihrer Handschrift, wie komplex die Geschichte aufbereitet wird. Roland Suso Richter, der „Dresden“ gedreht hat, ist ein Regisseur, der Grenzen auslotet. Er ist übrigens mein ältester Freund, wir haben bis zu seiner Heirat zusammen gewohnt. Dadurch war ein Vertrauensverhältnis da, das es ermöglicht hat, mit „Dresden“ neues Terrain zu betreten. Es gibt darin Kriegsbilder, die hat man in dieser Kraft noch nie im deutschen Fernsehen gesehen. Aber natürlich werden unsere Filme auch mit sehr unterschiedlichen Aufgabenstellungen produziert: „Die Luftbrücke“ wurde für Sat.1 gemacht – der Event musste also sehr Frauen-affin sein. Das hat ja auch sehr gut funktioniert, wie die Quoten zeigen.

Frauen-affin müssen aber wohl alle Ihre Produktionen sein, um geschlechterübergreifende Rekordquoten zu erzielen wie „Die Luftbrücke“ oder gerade erst „Die Sturmflut“. Gibt es deshalb in jedem Film – wie jetzt auch in „Dresden“ – eine romantische Dreiecksgeschichte?

Drei Teams haben drei Jahre lang die jeweilige Geschichte entwickelt – sie sind alle unabhängig auf diese Konstellation gekommen. Bei „Dresden“ haben wir zwischenzeitlich tatsächlich versucht den Stoff anders aufzubereiten, griffen aber nach reiflicher Überlegung doch wieder auf die Dreiecksbeziehung zurück. Ich war von Anfang an der festen Überzeugung, dass man von der Bombardierung Dresdens nur erzählen kann, wenn ein Engländer auf deutschem Boden die Tragödie miterlebt. Es musste eine Art von Völkerverständigung innerhalb der Filmgeschichte geben – schon um auszuschließen, dass die Deutschen in eine Art Opferrolle gedrängt werden. Es dürfen keine revanchistischen Gelüste bedient werden.

So gesehen ist die viel gescholtene Dreieckgeschichte ein legitimes Mittel zum Zweck. Es kommt ja nicht so sehr auf die Figurenkonstellation an sich an, sondern darauf, was man mit ihr erreicht. Und „Dresden“ geht erzähltechnisch und inhaltlich sehr weit: Die Trennlinie zwischen Gut und Böse wird sehr dünn.

Das genau war die Aufgabe. Die Fallhöhe war enorm. Uns ging es auch darum, das Hereinbrechen von Faschismus in die geordnete bürgerliche Welt zu zeigen. Die Alltäglichkeit und Allgegenwärtigkeit von Faschismus. Die Menschen gehen Straßen entlang, an denen Verräter an Laternenpfählen aufgeknüpft hängen. Der Vater der Heldin entpuppt sich als Nazi-Kollaborateur – der mit seinen Untaten die Existenz seiner Familie sichern will.

Und genau das ist doch der Unterschied zu der „Luftbrücke“, wo man das Nachkriegsdeutschland als nazifreie Zone in Szene gesetzt hat …

Nazifreie Zone – diese Formulierung ist bösartig! Ich behaupte: Die Zuschauer haben die „Luftbrücke“ eingeschaltet, weil sie sich mit dem zeitgeschichtlichen Thema auseinander setzen wollten. Ich will jetzt nicht volkspädagogisch daherkommen, aber Sat.1 hat die Menschen an diesen komplexen Stoff herangeführt. Die hatten tatsächlich ein Interesse an der Luftbrücke als Thema. Anders ist nicht zu erklären, weshalb 5,5 Millionen Zuschauer bis nach Mitternacht die anschließende Dokumentation gesehen haben. Das sind genau eine Million mehr, als Guido Knopp zum gleichen Thema in der Primetime des ZDF hatte. Darauf bin ich stolz.

Problematisch war allerdings das mediale Grundrauschen, zu dem „Die Luftbrücke“ ihren Teil beitrug: Erst kam das große Nazisterben in „Der Untergang“, dann sah man dieses vom Faschismus komplett gesäuberte Musterdeutschland in „Die Luftbrücke“. Die Widersprüchlichkeit der so genannten Stunde null wurde nie richtig beleuchtet.

Ich denke, da warten noch einige Kapitel deutscher Zeitgeschichte auf ihre Aufarbeitung. Aber dafür kann man nicht „Die Luftbrücke“ verantwortlich machen. Uns ging es nicht darum, die geglückte oder nicht geglückte Umerziehung der Deutschen darzustellen. Wir haben tatsächlich über dieses Thema nachgedacht, aber die einzige Person, anhand der man das hätte darstellen können, wäre der von Ulli Noethen gespielte Kriegsheimkehrer gewesen. Aber das hätte die Geschichte überfrachtet. Uns ging es erstens um die Darstellung der weltpolitischen Lage und zweitens um die einmalige logistische Leistung. Um Zuschauer für solche Stoffe empfänglich zu machen, musst du dich bei den Erzählebenen auch beschränken.

Aber sind Sie in der Vergangenheit mit Ihren Eventmovies nicht auf eine derart einfache Erzählebene gegangen, dass das jeweilige historische Ereignis geradezu enthistorisiert wurde?

Wir haben nie „enthistorisiert“. Was meinen Sie überhaupt damit?

Nehmen wir „Die Sturmflut“, die vor zwei Wochen sensationelle Quoten einfuhr. Muss man tatsächlich die Vorkommnisse so stark vereinfachen und verfälschen? Was sollte zum Beispiel dieser Schlenker auf die Bohrinsel?

Die Bohrinsel, die Frachter in Seenot – all das gab es wirklich. Genauso wie das Island-Tief. Ich gebe allerdings gerne zu, dass wir diese Bohrinsel auch gebraucht haben, um den Stoff in zwei Teilen erzählen zu können. Als Einteiler hätten wir dieses Projekt nicht finanzieren können. Sicherlich haben wir auch manches vereinfacht, aber wir haben uns eben auch grundsätzlich an die Fakten gehalten. 20 Zeitzeugen arbeiteten mit uns zusammen, alle waren vom fertigen Film bewegt. Genauso übrigens wie Helmut Schmidt, dem ich den Film zugeschickt hatte und der sich in einem persönlichen Brief sehr angetan zeigte. Und wir haben durchaus auch die zeittypischen Milieus nachzuzeichnen versucht. Etwa die Lower-Class-Familie aus Hamburg-Wilhelmsburg, die noch Hasenställe im Garten hat. Oder die Star-Club-Szene, in der Gil Ofarim einen Musiker spielt, der in dem Club auftreten will.

Aber da hakt es doch gerade: Ofarim trägt eine schulterlange Föhnwelle und spielt eine Grungeballade – das ist nicht nur schrecklich anzuhören, sondern hat auch nichts mit dem Jahr 1962 zu tun. Und ganz generell hat man sich nicht bemüht, der sozialen Struktur von Wilhelmsburg Rechnung zu tragen. Statt von Arbeitern zu erzählen, denen ihre Familien davongespült werden, bricht man lieber eine kitschige schichtenübergreifende Familienzusammenführung übers Knie.

Sie wollen immer alles auf einmal. Du würdest drei, vier Millionen Zuschauer verlieren, wenn du dich um eine dokumentarische Rekonstruktion der soziokulturellen Situation Hamburgs 1962 bemühen würdest. Es geht um den großen melodramatischen Entwurf. „Die Sturmflut“ auf RTL ist nun mal ein actionbetontes Melodram. Die ARD wählte mit ihrer übrigens sehr guten Produktion „Die Nacht der großen Flut“ eine andere Herangehensweise – und erreichte auf einem sehr guten Sendeplatz nur 2,7 Millionen Menschen. Jedem sein Glück. Und jedem sein Publikum. Ich hätte „Die Sturmflut“ auch anders gemacht, wenn ich sie für einen öffentlich-rechtlichen Sender gedreht hätte. Wir haben ja auch „Stauffenberg“ für die ARD produziert, der sogar eine weitere historische Aufarbeitung in hiesigen Feuilletons nach sich zog. Der Film hatte aber natürlich auch einen ganz anderen Präzisionsansatz – und im Übrigen dennoch fast acht Millionen Zuschauer.

Es kommt also immer nur darauf an, für wen Sie produzieren?

So wie ich „Die Sturmflut“ nicht in dieser Form für das ZDF gedreht hätte, hätte ich „Dresden“ niemals für RTL gemacht.

Aber zurzeit bereiten Sie ja sowieso erst mal überwiegend zeitgeschichtliche Produktionen für öffentlich-rechtliche Sender vor …

Ja, wir haben gerade die Entwicklungsphase abgeschlossen für ein Projekt, das mir sehr am Herzen liegt. Das habe ich mit Stefan Kolditz ausgearbeitet, der auch „Dresden“ geschrieben hat. Darin geht es um sechs Menschen und ihre Lebenswege zwischen 1941 und 48. Es ist eine Art deutsche Version von „Band Of Brothers“. Ich will darin vor allem diesen Wendepunkt von 1945 auf 46 behandeln. Diesen kompletten Werteverlust und die Neudefinition von Leben. Diesen moralischen Findungsprozess versuchen wir von unten zu erzählen. Eine Topografie des Dritten Reiches von unten ist sowieso schon lange überfällig. Es gibt „Stauffenberg“ oder „Der Untergang“ – aber die Schattierungen dazwischen sind irgendwie verloren gegangen.

Ist also auch das Fernsehen jetzt reif für jene Entwicklung, die schon einige Zeit in der Literatur festzustellen ist: dass man die Biografien etwa kleinbürgerlicher Nazi-Existenzen erzählen kann? Der deutsche Film braucht sonst ja Nazi-Bonzen oder Helden des Widerstands. In die Grauzone dazwischen wagt man sich ja nicht so recht vor.

Ja, ich glaube, dieser Trend wird kommen. Wenn auch sicherlich nicht in dem Maße wie in der Literatur. Dort sind das ja sehr oft Vater-Sohn-Biografien. Da will eine Generation noch einmal von ihren Eltern wissen, wie es denn wirklich gewesen sein könnte. Das treibt sicher auch mich an – meine Eltern sind um die 80. Das Projekt, von dem ich erzählt habe, ist auch eine Möglichkeit, mit meinem Vater in Kontakt zu treten. Es geht bei diesem Thema ja immer um familiäre Verkrustungen, es ist also durchaus ein Mittel zur Identitätsfindung. Auch dafür wünsche ich mir ein großes Publikum. „Dresden“ wird uns da im gewissen Sinne Aufschluss geben.

„Dresden“ könnte tatsächlich das werden, was teamworx so noch nicht hingelegt hat: ein genialer Flop.

Glauben Sie?

„Luftbrücke“ und „Sturmflut“ fügten sich bestens ins Profil von Sat.1 bzw. RTL. „Dresden“ wirkt da in seinen widersprüchlichen und expliziten Darstellungen eher wie ein Fremdkörper in der Sonntags-Primetime vom ZDF. Der Film muss das ZDF-Stammpublikum halten, das sich sonst von Pilcher-Verfilmungen in den Schlaf wiegen lässt, und zusätzlich jene Zuschauer rüberziehen, die auf den ARD-„Tatort“ abonniert sind. Klingt schwierig.

Ja, man darf da nicht naiv sein. Als Realist weiß ich, dass der Erfolg von „Dresden“ auch von Faktoren abhängt, die nichts mit dem Film selbst zu tun haben. Zum Beispiel diesem: Sitzt Felicitas Woll (Hauptdarstellerin von „Dresden“, Anm. d. Red.) am Samstag bei „Wetten, dass …?“ oder nicht, und vor allem: Wie ist das Programmumfeld der Konkurrenz? Aber wichtig bleibt mir schlussendlich nur eine Frage: Ist das Programm stark? „Dresden“ ist es.