„Die Linkspartei ist feige“

André Brie sieht die Linkspartei auf dem Weg in die Re-Ideologisierung. Die Kuba-Resolution des Parteivorstands zeigt: Es gibt keinen wirklichen Bruch mit der SED. Im Zweifel zählen die individuellen Freiheiten nicht viel. So wie früher

taz: Herr Brie, sind Sie noch in der richtigen Partei?

André Brie: Solange dieser Streit nicht entschieden ist: ja.

Sie haben im Europaparlament zusammen mit Gabi Zimmer und Helmuth Markov für eine Kuba-kritische Resolution gestimmt. Der Vorstand der Linkspartei hat Ihnen bescheinigt, damit von der Parteilinie abgewichen zu sein …

Das Gegenteil ist wahr. Wir folgen der Parteilinie. Der Parteivorstand hat sich 1998 zum 50. Jahrestag der Deklaration der Menschenrechte eindeutig zur universellen Geltung der Menschenrechte bekannt. Davon ist der Vorstand nun in erschreckender Weise abgewichen.

Aber auch Reformer wie Katja Kipping, Bodo Ramelow und Lothar Bisky haben gegen sie gestimmt. Warum?

Ich sehe darin eine beunruhigende Re-Ideologisierung. Und die Feigheit, die notwendige Auseinandersetzung zu führen. Wir sind dabei, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Die Erklärung des Parteivorstands hätte Kuba doch differenziert beurteilen können – also die Angriffe auf Kuba kritisieren, die positiven sozialen Fortschritte loben und die Menschenrechtsverletzungen benennen. Aber das fehlt. Der Vorstand hat noch nicht mal den Mut festzustellen, dass es dort Menschenrechtsverletzungen gibt. Das ist erschreckend.

In der Erklärung des Parteivorstands steht, Kuba unterscheide sich „grundlegend von den staatssozialistischen Modellen in Europa“. Warum ist der Wunsch, sich Kuba schönzureden, so groß in der PDS?

Psychologisch verstehe ich das. Viele sind mit der Kuba-Solidarität groß geworden. Außerdem leidet Kuba unter der aggressiven Politik der USA. Aber das ist keine Entschuldigung für Menschenrechtsverletzungen. Wir hatten mal beschlossen, die Fehler der SED vollständig zu überwinden. Das heißt: keine Menschenrechtsverletzungen im eigenen Lager zu tolerieren. Und die individuellen Freiheitsrechte nicht den sozialen Rechten unterzuordnen. Genau das tut der Vorstand der Linkspartei.

Warum ist das Bewusstsein, dass gerade die Linkspartei in Fragen von Menschenrechten empfindsam sein müsste, noch immer so unterentwickelt?

Weil wir die Auseinandersetzung, zu der wir uns verpflichtet hatten, nicht wirklich geführt haben. Das Verständnis politischer Freiheit ist in der Linkspartei unterentwickelt. Es gibt noch immer das Bewusstsein, dass politische Freiheiten so etwas wie schmückendes Beiwerk sind – und nicht der zwingende Ausgangspunkt jeder neuen linken Politik. Es gibt noch immer keinen umfassenden Bruch mit der SED-Geschichte. Gerade wegen der politischen Erfolge der Linkspartei.PDS haben wir die Beschäftigung mit der SED-Geschichte vernachlässigt.

Je erfolgreicher die Linkspartei ist, umso betonierter ist ihr Verhältnis zur Vergangenheit?

Betoniert würde ich nicht sagen. Es gibt eine wachsende Gleichgültigkeit gegenüber der Notwendigkeit, diese prinzipiellen Fragen zu klären. Und es gibt eine Re-Ideologisierung als Politikersatz.

Nur bei Kuba?

Nein. Derzeit wollen manche die PDS auf einen fundamentalen Pazifismus festlegen. Und zwar ohne sich im Geringsten etwa mit der Aggression der Sowjetunion gegen Afghanistan zu befassen, die den Weg zu den Taliban erst bereitet hat. Die SED hat dieses Zerstörungswerk damals gerechtfertigt. Ich bin für eine realistische Antikriegshaltung, meinetwegen auch für Pazifismus. Aber nicht auf dieser Grundlage. Das ist unglaubwürdig, geschichtsvergessen und trügerisch.

Wie politikfähig ist die Linkspartei denn außenpolitisch? Sie will ja nach wie vor alle Bundeswehrsoldaten aus dem Ausland abziehen – auch aus Kosovo und Afghanistan. Ist das sinnvoll?

Nein. Ohne Militär und Polizei aus dem Ausland würden dort Blutbäder drohen. Aber interessanter als die Frage „Bundeswehr dort – ja oder nein“ ist die Debatte: zu welchen Bedingungen und mit welchem Mandat? Da sind Defizite in der Debatte.

Nun scheint die PDS-Basis fundamentalpazifistisch fixiert zu sein. Wie kann die Parteispitze der Basis klar machen, dass es sinnvolle Auslandseinsätze der Bundeswehr gibt?

Basisschelte ist unangebracht.

Aber auf dem Parteitag in Münster hat die Basis die Partei auf ein Nein festgelegt.

Das war die Antwort darauf, dass der Parteivorstand keine transparenten Debatten darüber organisiert hat. Wer das versäumt, muss sich nicht wundern, dass rein emotionale Positionen an der Basis Hochkonkunktur bekommen. Diese Diskussionen fehlen – bis heute.

Eine Angst in der Partei lautet: Wenn wir anfangen, pragmatische Politik zu machen, werden wir wie die Grünen.

Ich fürchte, genau die Leute, die diese fundamentalistische Kuba-Erklärung unterstützen, werden 2009 die Ersten sein, die umfallen, wenn die SPD der Linkspartei eine Regierungsbeteiligung anbietet. Das liegt in der Logik dieses Schwarz-Weiß-Denkens. Das kann kippen.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE