Klatsch in die Hände und sag Ja!

Strukturwandel der popmusikalischen Öffentlichkeit: In den Musikblogs und Onlineforen hat ein neues Goldenes Zeitalter des Musikjournalismus begonnen. Die Szene bringt ihre ersten Hypes hervor. Die klassischen Medien können nur hinterherlaufen

Wo viel Bewegung ist, da steigt auch die Hitze: Das ist das ewige Gesetz der popkulturellen Thermodynamik

VON TOBIAS RAPP

Erinnert sich eigentlich noch jemand an Clap Your Hands Say Yeah? Diese New Yorker Band, die vor gut zwei Monaten noch als große Hoffnung gehandelt wurde? Und deren Alleinstellungsmerkmal war – abgesehen davon, dass sich ihr Sänger anhört wie David Byrne von den Talking Heads –, dass sie über das Internet groß geworden seien, wie es immer so schön hieß? Die ohne Plattenfirma 20.000 CDs im Selbstvertrieb über die Homepage verkauft haben? Wer sich erinnert, muss allerdings schon nachdenken – jetzt, wo sie auch einmal in Deutschland auf Tour waren und die großen Hoffnungen nicht wirklich erfüllen konnten. Schließlich gibt es viele gute Gründe, sich am Sound der frühen Talking Heads zu orientieren: Die Stimme von David Byrne gehört sicher nicht dazu.

Nein, Clap Your Hands Say Yeah sind keine außergewöhnliche Band. Aber genau wegen der Grunddurchschnittlichkeit ihres Tuns ist ihr schneller Aufstieg ein gutes Beispiel für den Strukturwandel der popkulturellen Öffentlichkeit, in der er sich vollzogen hat (ein besseres als die großartigen Arctic Monkeys etwa, jene britische Gruppe, die ebenfalls über das Netz groß geworden ist, dann aber, als ihre Platte offiziell in den Läden stand, in der ersten Wochen mehr verkaufte als die zwanzig Nächstplatzierten zusammen). Clap Your Hands Say Yeah gibt es einfach – wie tausend andere Bands. Das macht sie in diesem Fall so interessant. Der Normalfall ist der, der zählt.

Und genau deshalb lässt sich am Beispiel von Clap Your Hands Say Yeah ein ziemlich genaues Bild von jenem Feld zeichnen, in dem Pop (unterhalb der Madonna/Robbie Williams-Liga) in den kommenden Jahren verhandelt werden dürfte. Wobei das Interessante an dem Aufstieg dieser Band weniger der Umstand ist, dass sie so viele Platten verkaufen konnten, ohne ein Label im Rücken zu haben. Wie es dazu kommen konnte, das ist wichtig.

Es fängt mit einem kleinen Text beim Online-Musikmagazin Pitchfork (www.pitchforkmedia.com) an. Mitte Juni des vergangenen Jahres wird dort eines ihrer Stücke besprochen: Mit den schönen Worten „Niemand kennt diese Band“ beginnt er und behauptet, Clap Your Hands Say Yeah seien im Laufe der gerade vergangenen Woche „zur meistbesprochenen Band“ im Netz geworden. Das stimmt zwar überhaupt nicht, aber spätestens als wenige Tage später an gleicher Stelle ihr selbst betiteltes Album bejubelt wird, tritt die Band ihren Siegeszug an. Im Netz wohlgemerkt. Abgesehen von zwei kleinen Konzertbesprechungen in New Yorker Stadtzeitungen hat sie sonst noch niemand erwähnt.

Im Netz heißt: in den zahllosen Musikblogs, jenen kleinen Onlinetagebüchern von musikbegeisterten Hobby- und Profischreibern, die seit zwei Jahren explosionsartig immer mehr werden. Von diesen Blogs aus führen wiederum Links zu Online-Foren wie I Love Music oder Dissensus. Manche Blogger schreiben auch für Pitchfork. Und die meisten treiben sich regelmäßig in den Diskussionsforen von Tauschbörsen herum. Wo viel Bewegung ist, steigt auch die Hitze: Das ist das Gesetz der popkulturellen Thermodynamik. Kein noch so gewiefter PR-Spezialist wäre je in der Lage, diese Art von Schwarmintelligenz zu steuern. Clap Your Hands Say Yeah sind auf einmal ein Phänomen – das heute, gerade einmal ein halbes Jahr später und vier Wochen nachdem ihre Platte offiziell bei einer Plattenfirma herausgekommen ist, einiges an Momentum schon wieder verloren hat. Man wird sehen, ob sie durch exzessives Touren zumindest einen Teil des Interesses an ihnen werden halten können.

Und das soll es nun auch gewesen sein mit dieser Band. Denn was sich hier abzeichnet, geht weit über sie hinaus: Nachdem sich die Musikjournalisten in den vergangenen Jahren (nicht ohne eine gewisse Häme) das Ende der Plattenindustrie beschworen haben, zeichnet sich nun ab, dass es ihren eigenen Institutionen an den Kragen geht. Online-Hypes lassen sich mit den Mitteln des klassischen Musikmagazins nicht mehr abbilden. Sie sind schlicht zu schnell.

Und das ist noch nicht alles. Noch etwas anderes ist nachhaltig ins Rutschen gekommen: der heilige Anlass, über etwas zu schreiben, der Veröffentlichungstermin. So gut wie jedes Stück, das im Augenblick herauskommt, taucht schon Wochen, manchmal sogar Monate vorher in den Tauschbörsen auf. Die Diskussion, was man von einer Platte zu halten habe, inklusive der Aufregung, die mit diesen Bewertungsprozessen einhergeht, ist meist schon lange gelaufen, wenn die Texte irgendwann einmal in den gedruckten Magazinen mit ihren wochenlangen Vorlaufzeiten auftauchen.

Ja, könnten die Magazinmacher nun einwenden, das stimmt, aber wir bringen die Hintergründe, wir trennen die Spreu vom Weizen, bei uns wird recherchiert. Doch selbst wenn es so wäre – wer im Pop die Aufregung, der Erste zu sein, aufgegeben hat, die Freude daran, hier und jetzt die Musik des Hier und Jetzt zu preisen oder in die Tonne zu hauen, der kämpft auf verlorenem Posten.

Womit noch nichts über den größten Vorteil der Musikblogs gesagt wäre: die Möglichkeit, die Stücke, über die geschrieben wird, als mp3 direkt in den Text zu stellen. Schreckten die meisten Blogger bis vor kurzem noch davor zurück, hat die Einführung von yousendit (www.yousendit.com), einer Homepage, die zeitlich begrenzte Downloadmöglichkeiten anbietet, dies vollkommen verändert. Der Service ist kostenlos, sieben Tage steht die Datei online und schaltet sich danach automatisch ab, mehr als tausend Downloads sind nicht möglich. Das kommt dem Bedürfnis nach Unter-dem-Radar-Bleiben genauso entgegen wie dem nach Aktualität, man muss dranbleiben und alle paar Tage nachschauen, was geht. In Online-Foren, die sich der Musik widmen, ist „ysi plz“ für „yousendit please“ mittlerweile eine der häufigsten Buchstabenkombinationen. Welche einem Magazin beigelegte CD könnte damit konkurrieren?

Ein Beispiel: Tape (www.allsexistape.blogspot.com). Herausgegriffen, nicht weil es ein so außergewöhliches Blog ist, es ist nur besonders liebevoll gemacht. Täglich gibt es eine, manchmal mehrere Eintragungen der Betreiber, drei Jungs aus dem britischen Bristol – lange Kritiken kurzer Platten, begeistert werden Techno- und House-Maxis rauf- oder runtergeschrieben, unter dem Text findet sich häufig ein Link auf die entsprechende Yousendit-Seite, wo sie die mp3-Datei platziert haben. Oben in der Ecke haben sie eine kleine Notiz: Alle mp3s seien „for evaluatory purposes only. Buy the records!“

Das kann man durchaus ernst nehmen. Einigen der Dateien merkt man an, dass sie von Platte in den Computer überspielt sind. Hier wollen Leute ihre Begeisterung teilen. Und dass Leute zu ihren Partys kommen – alle paar Wochen findet man ausführliche Publikumsbeschimpfungen, weil wieder nicht genug Leute zu einer Party gekommen sind. Kein Magazin kann konkurrieren mit der Liebe, der Schnelligkeit, der Euphorie und der Ausführlichkeit, kurz der Haltung, mit der sich hier der Musik gewidmet wird. Die Zahl dieser Blogs dürfte in die hunderte gehen.

Hier kündigt sich kein neues Goldenes Zeitalter des Musikjournalismus an, es ist längst da. Mit allem, was dazugehört: Hypes um mittelmäßige Bands, endlose Texte, die alles mit allem verbinden, um der eigenen Begeisterung Ausdruck zu verleihen, erbitterte Grabenkämpfe um nichts, Erster sein. Und der Glaube, man könnte die Energie dieser Explosion irgendwie in die etablierten Medien übertragen, ist eine Illusion. Bestimmt wird dieser Wildwuchs irgendwann Institutionen herausbilden. Gerade seine Unprofessionalität, seine Bereitschaft zum Irrtum und zur wilden Spekulation zeichnen ihn aus, das handwerklich Fragwürdige, der Antijournalismus.

Und noch etwas ist interessant. Wenn man will, kann man Parallelen zu ähnlichen Aufbrüchen in der Vergangenheit ziehen: Auch die Post-Punk-Ära war von den visuellen Möglichkeiten der Copyshop-Ästhetik geprägt, die Frühneunziger-Rave-Ära verdankte sich der einfacheren Verfügbarkeit erster Layout-Programme für PCs eine Menge. Die Wandel der Öffentlichkeit, der sich hier vollzieht, ist jedoch gleichzeitig grundlegender und oberflächlicher. Grundlegender, weil das Konzept Magazin zu verschwinden beginnt. Oberflächlicher, weil diese ganze tolle Bewegung, diese neuen Möglichkeiten der Vernetzung und der beschleunigten Graswurzel-Kommunikation so völlig abgekoppelt von einer musikalischen Revolution vor sich geht. Diese Revolution hat keinen Soundtrack. Sie gilt für jede Musikform gleichermaßen.

Was auch wieder mit den technischen Möglichkeiten zu tun hat. Wo jeder iPod-Besitzer eine Festplatte mit sich herumträgt, auf der sich nicht nur so viel Musik findet wie in einer großen Plattensammlung, man aber genauso davon ausgehen kann, dass diese Musik stilistisch durchmischt ist wie die keiner Generation zuvor, man bekommt ja alles gleich einfach aus den zahllosen Tauschbörsen – da erledigen sich Fragen nach einem Fortschritt, der sich einfach ästhetisch definieren lässt.