Ver.di schickt Beschwerdebrief an Billigpost

Schlechte Bezahlung und miserable Arbeitsbedingungen: Die Gewerkschaft Ver.di erhebt schwere Vorwürfe gegen den privaten Briefzusteller Pin AG. Das 1998 gegründete Unternehmen, dessen größter Auftraggeber in Berlin ausgerechnet der Senat ist, weist die Kritik als „gegenstandslos“ zurück

Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di erhebt schwere Vorwürfe gegen den privaten Briefzusteller Pin AG. Die Beschäftigten bekämen für ihre Arbeit weit weniger Lohn als ihre Kollegen bei der Post. Auch hätten die Mitarbeiter keinen Anspruch auf Urlaubs- oder Weihnachtsgeld, Überstunden würden nicht bezahlt. Zudem seien bei der Pin AG Tarifverträge unerwünscht, kritisierte Benedikt Frank vom Ver.di-Landesbezirk Berlin-Brandenburg gestern.

Insgesamt erhält ein Zusteller bei der Pin AG laut Ver.di ein monatliches Grundgehalt von 1.002 Euro. Bei einer 40-Stunden-Woche ergibt sich so ein durchschnittlicher Stundenlohn von 5,86 Euro. Dagegen verdiene ein Briefträger bei der Deutschen Post AG 9,85 Euro in der Stunde.

Die Pin AG, die in Berlin 800 Zusteller beschäftigt, verweist auf ihre Prämienordnung. Dadurch könnten die Zusteller 410 Euro monatlich dazuverdienen. Zum Beispiel gebe es eine Anwesenheitsprämie von 250 Euro. Diese werden aber bei Krankheit reduziert, kritisiert Ver.di. „Pro Krankentag wird die Anwesenheitsprämie um 11,90 Euro gekürzt“, stehe in den Mitarbeiterverträgen. „Es gibt für die Mitarbeiter keine finanziellen Sicherheiten“, sagt Frank. „Ich kenne einen Zusteller, der ist mit gebrochenen Rippen gefahren.“ Der Mann habe sich den Verlust von 11,90 Euro nicht leisten können.

Die Pin AG bezeichnet diese Vorwürfe als gegenstandslos. Das Prämienmodell sei dazu gedacht, Mitarbeiter zu motivieren. Auch den Vorwurf des Lohndumpings will die Firma nicht dulden. Bei Auszahlung aller Prämien erhalten die Zusteller mehr als 8 Euro pro Stunde, rechnet die Firma vor. Ein Wert, der für den Sektor der gering Qualifizierten eher über- als unterdurchschnittlich sei.

Der harte Wettbewerb in der Branche wird durch Lohndumping finanziert. Frank betont, dass man nicht den Wettbewerb verteufeln wolle. „Der Erfolg des Wettbewerbs muss über das Geschäftskonzept erfolgen und nicht über Lohndrückerei.“

Zusätzliche Brisanz erhält der Konflikt zwischen Ver.di und der Pin AG dadurch,dass der Berliner Senat der größte Auftraggeber des Briefzustellers in Berlin ist. Grund dafür dürften dessen Preise sein: Bei „Kompaktbriefen“ bis 50 Gramm ist das Unternehmen 7 Cent günstiger als die Post. Ob der Senat mit seiner Zustellerfirma aber überhaupt Geld spart, ist unklar: Denn etwa 300 Zusteller der Pin AG muss das Land Berlin laut Ver.di mit Arbeitslosengeld II unterstützen, weil deren Gehalt unter dem Existenzminimum liegt. Auch die Ausbildungspolitik der Pin AG ist kritikwürdig: Seit seiner Gründung 1998 hat das Unternehmen keinen einzigen Ausbildungsplatz angeboten.

Am 10. März soll der Betriebsrat wieder gewählt werden. Bei den ersten Betriebsratswahlen 2003 seien allerdings nur Mitarbeiter aus leitenden Positionen gewählt worden. Jetzt werden auf den gewerkschaftlichen Listen überwiegend Zusteller zur Wahl stehen. „Wir wissen aber von Einzelgesprächen, in denen den Mitarbeitern geraten wurde, nicht die Bösen zu wählen“, erzählt Ver.di-Mann Frank. „Die Bösen, das sind wir.“ CIGDEM AKYOL