Dresden, 13. Februar 1945

Ohne Anlass zu Opferdiskursen: Mit dem TV-Movie „Dresden“ besteht das ZDF die Probe, eine deutsche Kriegstragödie sensibel fürs Fernsehen umzusetzen (So., 20.15 Uhr, und Mo., 20.15 Uhr)

Was von ihr übrigblieb, ist mit einerdicken Schicht weißerAsche bedeckt

Von HANNAH PILARCZYK

Selten hat man das ZDF so nervös erlebt. Angespannt liefen die Programmverantwortlichen auf den Pressevorführungen herum und es riefen einen plötzlich ZDF-Redakteure an – nur um zu fragen, ob man denn noch Fragen hätte. Nein, hatte man nicht. Im Gegenteil: Selten war man vom Zweiten so gut und ausführlich über einen Fernsehzweiteiler informiert worden wie bei „Dresden“. Aber die Nervosität ist berechtigt: Mit der Verfilmung der Dresdner Bombennacht vom 13. Februar 1945 hat sich das ZDF ein Projekt ausgesucht, dessen Fallhöhe unermesslich ist. „Sturmflut“, „Luftbrücke“, „Tunnel“ – allen TV-Eventmovies der letzten Zeit konnte man irgendwie verzeihen, dass sie die deutsche Historie gleichsam als Vorwand wie Kulisse nahmen, um emotionale Geschichte zu erzählen. Aber „Dresden“?

„Dresden“ ist die Nagelprobe für das ZDF und die Produktionsfirma teamworx, ob man einen so kontroversen und sensiblen Stoff fiktionalisieren kann, ohne ihn der politischen Instrumentalisierung preis zu geben. Und diese Probe ist gelungen – beziehungsweise, die beratenden Historiker Rolf-Dieter Müller, Richard Overy und Hans Mommsen haben ganze Arbeit geleistet.

„Dresden“ ist ein Film über eine Stadt in Kriegszeiten geworden, über ihre Bewohner und das Leid, das die Bomben über sie bringen. Für Opferdiskurse bieten sich aber keine Ansatzpunkte. Noch an den Türen der Luftschutzkeller werden hier Juden abgewiesen. „Es dürfen keine revanchistischen Gelüste bedient werden“, beschrieb Produzent Nico Hofmann im taz-Interview die Herausforderung des Films.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Krankenschwester Anna Mauth (Felicitas Woll) – wie so oft in teamworx-Filmen hin und her gerissen zwischen zwei Männern. Autor Stefan Kolditz erlaubt ihr aber zur Abwechslung eine angenehme Ambivalenz: Ohne den Kriegsalltag auszublenden, sprüht Anna vor Lebenslust und mitreißendem Pragmatismus, ohne selbst überzeugte Nationalsozialistin zu sein, hasst sie die Amerikaner – und verliebt sich doch in den englischen Bomberpiloten Robert Newman (John Light). Der irrt nach dem Abschuss seines Flieger nur dürftig getarnt verletzt durch Dresden und landet schließlich in Annas Krankenhaus. Für ihn wird sie auch die Verlobung mit dem strebsamen Arzt Alexander (Benjamin Sadler) hinschmeißen, als dessen Pflichtbewusstsein in kühle Berechnung umschlägt und er für die gemeinsame Flucht mit Annas korruptem Vater paktiert.

Überhaupt entwirft „Dresden“ ein Ensemble, das von der herrischen BDM-Schwester bis zum widerständischen Pfarrer fast alles Leben in einer Stadt im sechsten Kriegsjahr abbildet. Unter dichter Führung von Regisseur Roland Suso Richter erhält jede dieser Figuren eine Schlüsselszene, in der sie sich psychologisch erklärt. Die eindrücklichste Szene gehört dabei wohl dem Juden Simon Goldberg (Kai Wiesinger), grob an den Dresdner Autor Victor Klemperer angelegt. Als die Bombardierung losgeht, kann er endlich das Haus verlassen, in das ihn der rassistische Alltag gesperrt hat. Im Bewusstsein, dass die Bomben wieder alle gleich machen werden, tritt er vor seine Haustür und reißt sich mit Erleichterung den Judenstern ab. Dann rennen er und seine Frau um sein Leben.

Und auch auf britischer Seite lässt „Dresden“ seine Protagonisten mit den Ereignissen der Bombennacht ringen, statt sie endgültig zu interpretieren. Ein Militär kennt Dresden noch aus Studientagen und gibt verzweifelt zu bedenken, dass die Stadt doch eine der schönsten sei. Ein anderer fragt sich bei Ansicht der Flugpläne, wo denn die militärischen Ziele sein, auf die sie fliegen sollten – wie es ausschaue, wolle man stattdessen die Altstadt angreifen. „Dresden ist eine Stadt nahe der Front“, gibt ihm ein Kamerad die knappe Begründung. „Wir sind keine Politiker, wir sind Flieger. Und wir führen unsere Befehle aus.“

Im entscheidenden Moment duldet der Film aber dann doch keine Ambivalenz. Mitten in der Bombardierung versucht der betrogene Alexander, seine Verlobte doch noch aus den Armen ihres britischen Piloten zu treiben. Er gestikuliert in den vom Feuer erleuchteten Himmel, aus dem noch immer die Bomben fallen und brüllt: „Das ist er!“ – „Nein“, antwortet ihm Anna. „Nein, das sind wir.“

Der Brand der Stadt schließlich wird zu einem Inferno, wie es das Fernsehen noch nicht gesehen hat. Zerbombte, Verbrannte, Erstickte, Erschlagene. Überall. Am nächsten Morgen erleuchtet Dresden als weiße Stadt. Was von ihr übrig geblieben ist, ist mit einer dicken Schicht weißer Asche bedeckt. Dann bricht die Handlung des Films ab.

Was aus den Protagonisten wird, was aus dem Krieg – „Dresden“ schweigt und verweigert sich so, die Bombardierung als Katharsis zu erzählen. Die Zerstörung erlöst weder die Figuren noch die Geschichte. Was für ein Ende, das sich selbst nicht erlaubt, eines zu sein.

Wobei das ZDF dem Film natürlich doch noch eins verpasst hat: Mit Bildern von der Weihe der wiederaufgebauten Frauenkirche, deren Ruine seit 1945 Mahnmal war. Oktober 2005, Menschenmassen, feierliche Prozessionen, Friedenswünsche des Bundespräsidenten – und ein bekanntes Gesicht in der Menge: Felicitas Woll.