Von Tschetschenien nach „Kadyristan“

Mit der Einsetzung von Ramsan Kadyrow als neuer Premier versucht der Kreml Normalität vorzugaukeln. Tatsächlich kontrolliert Moskau die Kaukasusrepublik nicht mehr. Kadyrow regiert allein – mit einer Armee, die Angst und Terror verbreitet

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Am Wochenende lud Grosny zu Musik und Tanz. Die Beförderung Ramsan Kadyrows vom Vize- zum Premierminister Tschetscheniens löste in den Straßen der Trümmerstadt einen Freudentaumel aus. Mit Trommeln, Tanz und Feuersalven beging Grosny die frohe Botschaft. Diesen Eindruck vermittelte zumindest das russische Fernsehen. Dabei war die Wahl des Premiers eine Formalität. Die Abgeordneten des handverlesenen Parlaments hatten keine Wahl.

Die Inthronisierung Kadyrows ist ein weiterer Schritt, mit dem Moskau sich und die Welt glauben machen möchte, dass die von Kriegswirren gezeichnete Republik zur Normalität zurückkehrt. Der 29-Jährige spielt die Hauptrolle in der Inszenierung des Kreml, der ihm für die erwiesene Treue Dank erweist. Im Oktober wird der Premier 30 Jahre alt, die die Verfassung für die Wahl zum Präsidenten vorschreibt. Der Ausgang steht fest. Auch dann wird Grosny wieder feiern wie im vergangenen Herbst, als dem Vize nach vier Töchtern ein Statthalter geboren wurde. Achmed Kadyrow wird der Infant heißen, wie der Großvater, der im Frühjahr 2004 einem Attentat zum Opfer fiel.

Seither regiert Ramsan, mit dem höchsten Orden „Held Russlands“ dekoriert, den Kaukasusflecken als Alleinherrscher. Ihn unterstützt eine Privatarmee mit mehreren tausend Mann. Die genaue Stärke hütet der Oberbefehlshaber wie ein Staatsgeheimnis. Eins gibt er preis: 90 Prozent habe er unter Ex-Rebellen der Separatisten rekrutiert.

„Kadyrowzy“ nennen die Tschetschenen den Landsknechtshaufen, der Terror und Schrecken verbreitet. Unzählige Morde, Entführungen und Menschenhandel werden den „Todesschwadronen“ von Menschenrechtsgruppen zur Last gelegt.

Der Kreml lässt den leidenschaftlichen Boxer jedoch gewähren. Man hat den ewig grinsenden Flaumbart unterschätzt. Als Moskau ihn zur Galionsfigur erhob, erweckte der Erwählte fast Mitleid. Des Russischen kaum mächtig, stammelte Ramsan in die Kameras. Mit Häme wurde er bedacht, der ganz dem Bild eines Satrapen entsprach – eines willenlosen Kindskopfes. Inzwischen hat die Universität Machatschkala Ramsan ein Diplom verliehen. Die Akademie für Naturwissenschaften berief den intellektuellen Spätentwickler zum korrespondierenden Mitglied.

Doch die Verdienste des künftigen Präsidenten liegen nicht im akademischen Bereich: Ramsan hat geschafft, was weder den separatistischen Präsidenten Dschochar Dudajew und Aslan Maschadow noch der Besatzungsmacht gelang. Das auf Vetternwirtschaft fußende Terrorregime hält die Republik fest im Griff. „Aus Tschetschenien haben wir den sichersten Ort in Russland gemacht, bald wird es der ruhigste auf der Welt sein“, brüstet sich Ramsan zynisch.

Ganz Unrecht hat er nicht. Abgesehen vom Terror der eigenen Leute und Konflikten mit rivalisierenden russischen Militärs, die Herrschaft und wirtschaftliche Verfügungsgewalt der Kadyrows nicht anerkennen wollen, ist es um Grosny ruhiger geworden. Gegenspieler Schamiil Bassajew hat an Terrain und Einfluss verloren. Stattdessen sind die Nachbarn Dagestan und Inguschetien immer öfter Schauplatz von Anschlägen. Kadyrow fühlt sich zum Leidwesen der Nachbarn berufen, auch bei ihnen einzugreifen, und wähnt sich als Herr über den Kaukasus.

Als betrunkene russische Soldaten am Vorabend der Parlamentswahlen im November drei Mitarbeiter des Innenministeriums erschossen, gab Ramsan die Straße frei. Hunderte Tschetschenen demonstrierten gegen die Armee der Okkupanten. Das entspricht nicht dem Bild eines Vasallen. Unter seiner Ägide ist Tschetschenien de facto unabhängiger geworden, als es je war.

Moskau trug mit großzügiger Finanzhilfe dazu bei. Russlands Rechnungshof stellte fest, dass in der ersten Hälfte 2005 30 Millionen Euro Wiederaufbauhilfe veruntreut wurden. Präsident Putins Beauftragter im Süden, Dmitri Kosak, regte an, die Finanzverwaltung von Moskau zu steuern. Es blieb bei dem Rat.

Umsonst stellt sich Kadyrow dem Kreml nicht als PR-Mann zur Verfügung. Spielt Russland nicht mehr mit, schlägt der Tyrann einen anderen Ton an: „Wenn die Tschetschenen verlangen, gegen Russland zu kämpfen, werden wir gehorchen“, soll er der Nesawissimaja Gaseta gesagt haben. Die Voraussetzungen sind gut: ein Heer, eine pralle Kriegskasse und ein Land, das der Volksmund „Kadyristan“ taufte, nennt er sein Eigen.