Vor allem warme Klamotten

Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft fordert einen neuen „Armutsindikator“ in Deutschland – und will Arbeitslosen die Stütze kürzen

BERLIN taz ■ Armut ist relativ, findet zumindest das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW), das gestern die Studie „Armut in der Wohlstandsgesellschaft“ vorstellte. Die Forscher fordern einen „Armutsindikator“, der über die bisherige Messung von Armut hinausgeht.

In Deutschland gilt als arm, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens hat. Für einen Single-Haushalt liegt die Armutsgrenze damit bei 938 Euro. Genauere Ergebnisse als diese Grenze aber bringe ein kombinierter Armutsindikator wie in Irland, findet IW-Direktor Michael Hüther.

Der Indikator beinhaltet neben dem Einkommen auch Fragen nach Heizmöglichkeiten der Wohnung, regelmäßigen Mahlzeiten, Fleisch in der Ernährung und warmer Winterkleidung. Mangel an diesen Dingen bilde Armut genauer ab als die bisher gezogenen Einkommensgrenzen, so Hüther. Und dann gebe es ja noch die individuellen Unterschiede: „Viele werden von Verwandten unterstützt. Mancher geht verantwortungsvoller mit Geld um als andere“, und „nicht nur Reiche vererben an Reiche“.

Gut haben es laut IW also Arme, die wohlmeinende Verwandte und ein Händchen fürs Haushaltsgeld besitzen. Auch strukturelle Armut gebe es in Deutschland nicht, weil weder Alte noch sehr Junge besonders arm seien, so das Ergebnis des Kölner IW. Dass es deutlich benachteiligte Gruppen wie Alleinerziehende gibt, ändert dieses Fazit laut IW nicht.

Leben die IW-Forscher also in einer ganz anderen Republik als zum Beispiel der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband ? Dieser kritisierte gestern, die Studie ließe wesentliche Zahlen zur Armutsentwicklung außer Acht, etwa die Verarmung kinderreicher Familien. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hält die Sozialleistungen nach Hartz IV schon jetzt für deutlich zu niedrig und fordert eine Anhebung auf ein „Niveau, das die Menschenwürde sichert“.

Das IW hingegen möchte das Arbeitslosengeld II um 20 bis 25 Prozent kürzen – eine Forderung, die auch schon von neoliberalen Sozialpolitikern erhoben wurde. Mit diesem Geld sollen dann Billigjobber bezuschusst werden. Großen Bedarf an Stellen gebe es bei Geringqualifizierten, so Hüther.

Einen gesetzlichen Mindestlohn zur Existenzsicherung hält das Kölner Institut aber für falsch. Es müsse Vollzeitjobs unterhalb der Existenzsicherung geben, so Hüther. KERSTIN SPECKNER