Das Theater um den Film

Dass wir nicht mehr so häufig ins Kino gehen, liegt auch am riesigen Werbegetrommel, das um jeden mittelmäßigen Film mit Starbesetzung veranstaltet wird – von den „Oscars“ bis zum Feuilleton

VON DAVID DENK

Manche Menschen gehen genau so ins Kino, wie sie wohl auch ihre Steuererklärung erledigen – in letzter Sekunde. Für andere gibt’s nichts Schöneres, als pünktlich zur auf der Eintrittskarte angegebenen Uhrzeit ihre Plätze zu besetzen.

Beide Verhaltensmuster haben ein und denselben Grund: die Trailer vorm Film.

Niemand steht ihnen gleichgültig gegenüber. Für die einen ist ein gut gemachter Trailer die Kunst, den Zuschauer derart anzufixen, dass er nach mehr giert; für die anderen sind Trailer die Pest: Wer hat noch Lust, sich einen Film anzuschauen, dessen Highlights er schon kennt?

Das ist das Dilemma des Trailers: das Beste zu zeigen – und doch nicht alles auszuplappern.

Dass man im Kino immer seltener überrascht und überwältigt wird, liegt also nicht (nur) an mangelnder Qualität der Filme, sondern vielmehr an den unschönen Nebenwirkungen ihrer Vermarktung. Die Schuld an der Krise des Kinos nur der DVD in die Schuhe zu schieben, ist bequem, aber falsch; teilweise ist sie nämlich hausgemacht. Es ist paradox: Marketing, eigentlich dazu gedacht, für einen Film zu werben, wendet sich gegen ihn, wertet ihn nicht auf, sondern ab.

Als wäre das nicht schon schlimm genug, unterwerfen wir Journalisten uns dieser von PR-Agenturen geschürten Hysterie und multiplizieren sie durch eine grotesk überzogene Berichterstattung sogar noch. Dass immer weniger Leute ins Kino gehen, liegt wohl auch daran, dass die Medien immer mehr über Kino berichten. Nehmen wir zum Beispiel mal „München“. Schon Wochen vor dem deutschen Kinostart des Steven-Spielberg-Films stand alles in der Zeitung, sonderseitenweise überinformierten die Feuilletons ihre Leser über die Handlung von „München“ und die Reaktionen in den USA und in Israel, dazu das obligatorische Interview mit dem deutschen „Star“ des Films, Hanns Zischler – alles wenig einfallsreich, aber dafür prominent platziert.

Klar, dass der Film die Erwartungen, die dieses Medienereignis erzeugte, nicht erfüllen konnte – kein Film hätte sie erfüllen können. Doch mit dem daraus folgenden Überdruss wird der Zuschauer alleine gelassen. Er geht nach Hause und fragt sich ernsthaft, ob es seinem mangelnden Intellekt geschuldet ist, dass er den Film längst nicht so gut fand wie die Kritiker.

Nur zur Erinnerung: Ein Film ist ein Film ist ein Film.

Ein weiteres Beispiel dafür, dass das Drumherum Filme zunehmend marginalisiert, dass Klappern wichtiger geworden ist als das Handwerk, war der deutsche Berlinale-Beitrag „Elementarteilchen“. Man hatte den Eindruck, dass selbst die Jury sich dem Theater um Oskar Roehlers Weichspüler-Verfilmung des gleichnamigen Houellebecq-Romans nicht entziehen konnte – und Moritz Bleibtreu deswegen mit dem Silbernen Bären für den besten Hauptdarsteller ausgezeichnet hat. Um Missverständnissen vorzubeugen: Bleibtreu hat sicher nicht schlecht gespielt, aber auch nicht überwältigend. Sein Silberner Bär illustriert also die Entkoppelung von tatsächlich erbrachter Leistung und dem, was die Mediengesellschaft daraus macht – eigentlich sollten wir Journalisten von Bleibtreu Anteile am Preis fordern.

Leider hat sich noch niemand die Mühe gemacht zu zählen, wie häufig in der Berichterstattung über Filme solch bescheidene Adjektive wie „wunderbar“, „virtuos“ oder „großartig“ vorkommen – er hätte viel zu tun. Großes Kino, so der vorherrschende Irrglaube, entsteht erst durch viele große Worte. Mit denen sollte man allerdings sparsam umgehen, sonst stumpfen sie ab.

Ein Schritt zur Rettung des Kinos wäre also, die Messlatte für ein Meisterwerk wieder höher zu legen und nicht jeden mittelmäßigen Film zu feiern, nur weil Jim Jarmusch Regie führt und andere Zeitungen schon darüber berichtet haben. Wär’ das schön!