NPD klagt sich durch die Massen

Am 60. Jahrestag des Kriegsendes wollten Neonazis in Berlin demonstrieren. Die Polizei stoppteden Aufzug wegen zu vieler Gegendemonstranten. Heute klagt die NPD gegen diese Entscheidung

VON FELIX LEE

Was hatten sich alle am Abend des 8. Mai 2005 gefreut: In seltener Eintracht klopften sich der Regierende Bürgermeister, die Innenverwaltung, die Polizei und selbst die Antifa auf die Schultern und bewerteten den Tag als großen Erfolg. Die lang geplante Demonstration von Neonazis am 60. Jahrestag des Kriegsendes war gescheitert. Rund 3.000 NPD-Anhänger mussten unverrichteter Dinge von dannen ziehen, weil sich zehntausende GegendemonstrantInnen in den Weg gestellt hatten. Heute jedoch könnte dieser Erfolg nachträglich einen gehörigen Dämpfer bekommen – zumindest aus juristischer Sicht.

Genau zehn Monate nach dem 8. Mai wird heute das Verwaltungsgericht prüfen, ob die Blockade des NPD-Aufzuges rechtswidrig war. Kläger ist die NPD, die ihr Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt sieht. Angeklagter ist die Berliner Polizei.

Am 8. Mai wollten die Neonazis vom Alexanderplatz über den Boulevard Unten den Linden zum Bahnhof Friedrichstraße ziehen. Lange war es der Polizei gelungen, die 10.000 Teilnehmer einer durch das nördliche Mitte ziehenden Antifa-Demo vom Alexanderplatz fernzuhalten – etwa indem sie fast alle Brücken über die Spree absperrte. Aber auch den Aufrufen zahlreicher Parteien und Initiativen waren Zehntausende gefolgt, die nach und nach alle Straßen rund um den Alexanderplatz blockierten. Deshalb wollte die Polizei der NPD auch keine Ersatzroute anbieten. Stattdessen hielten die Ordnungskräfte die Neonazis unter praller Sonne vor dem Bahnhof Alexanderplatz eingepfercht wie in einem Schweinegatter fest. Nach rund sechs Stunden gab sich die NPD-Führung geschlagen. Auf Anordnung der Polizei sagte sie den Aufmarsch ab. Die Rechtsextremisten tobten vor Wut, als sie in die S-Bahn-Züge stiegen.

Bei vielen Nazi-Demonstrationen zuvor hatte die Polizei anders entschieden. So vertrieb sie etwa sechs Monate zuvor in Köpenick die GegendemonstrantInnen mit Schlagstöcken und Wasserwerfern, um den Neonazis den Weg frei zu machen. Zwar stellten sich am 4. Dezember 2004 in Köpenick deutlich weniger Menschen quer, als am 8. Mai 2005 in Mitte. Doch auch die Symbolkraft des 60. Jahrestags des Kriegsendes dürfte der Polizeiführung den Rücken gestärkt haben. Immerhin schaute an diesem Tag die ganze Welt auf Berlin. Ein komplettes Verbot des Aufmarschs war juristisch nicht möglich. Den erwartbar massiven Gegenprotest aber konnte die Einsatzleitung nutzen, um den Nazis doch noch die Show zu stehlen.

Die juristische Beurteilung dieser kreativen Polizeistrategie könnte richtungsweisend werden – auch wenn das in Justizkreisen vorsorglich anders gesehen wird. Grundsätzlich gehe es bei dem Verfahren zwar um die Frage, inwieweit der Staat das Versammlungsrecht durchsetzen muss, sagte Gerichtssprecher Michael Dolle. Aber die Situation am 8. Mai sei von vielen Besonderheiten geprägt gewesen. Dies ließe sich nicht beliebig auf alle Nazi-Aufmärsche übertragen.

Volker Ratzmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus rechnet erst gar nicht mit einem juristischen Erfolg der NPD: „Das Gericht kann sich bereits auf existierende Rechtsprechung stützen“, ist sich Ratzmann sicher. Zwar müsse auch Rechtsextremisten ihr Recht auf Demonstrationsfreiheit gewährt werden. Wenn sich aber auf der Gegenseite die Massen widersetzen, könne der Polizei nicht zugemutet werden, dass sie dieses Recht um jeden Preis mit dem Knüppel durchprügeln. „Der Einsatz der Mittel im Verhältnis zum durchsetzenden Recht muss gewahrt bleiben“, betont Ratzmann.

Ein Klageerfolg könnte sich für die NPD aber anders auszahlen. Die Neonazis könnten sich auf die Rechtswidrigkeit des Polizeieinsatzes berufen und Schadensersatz fordern. Doch wie viel Schaden die Neonazis an diesem Tag wirklich davongetragen haben – auch dies ist eine Frage, die juristisch nicht so leicht zu beantworten ist.