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: Dann ist Krieg: „Twentyfour Eyes“ von Keisuke Kinoshita

Denn jeder Begegnung wohnt schon ein Abschied inne: ein großartiger japanischerAnti-Kriegs-Klassiker in hochwertiger neuer Edition

Eine Frau auf dem Fahrrad, gekleidet wie ein Mann: Für die Bewohner der kleinen Insel in der japanischen Provinz ist das ein Grund zu skeptischem Staunen. Die Frau ist Oishi (Hideo Takamine), die neue Lehrerin, übersetzt heißt ihr Name „großer Stein“. In der ersten Unterrichtsstunde notiert sie die Spitznamen ihrer 12 Schülerinnen und Schüler, die sie aus 24 großen Augen anstarren, sie aber sogleich ins Herz schließen und ihr den Spitznamen „Kieselstein“ geben.

„Twentyfour Eyes“ („Nijushi no hitomi“), im Jahr 1954 entstanden, konzentriert sich auf diese Figuren, ihre Leben und ihr Sterben. Er verlässt während der 20 Jahre von 1928 bis 1948, in denen er spielt, die Provinz kaum einmal, aber er macht sie zur Bühne, auf der die Auswirkungen der Weltgeschichte deutlich spürbar werden. Die Unbeschwertheit des Beginns ist rasch verflogen. Die Lehrerin Oishi bekommt Probleme, weil sie mit den Kindern Volkslieder singt und nicht das von der nationalistischen Regierung erwünschte patriotische Liedgut. Der Krieg naht und als ihre männlichen Schüler unbedingt Soldat werden wollen, sagt sie ihnen, das sei eine schlechte Idee. „Sie sind ein Feigling“, sagen die Schüler. „Ja, dann bin ich ein Feigling“, sagt Oishi, wird des Kommunismus verdächtigt und quittiert den Dienst. Ein paar Jahre nach dem Krieg kommt es zum Klassentreffen, aber die meisten Jungs sind tot, im Krieg gefallen, genau wie Oishis Mann. „Die Gestalt der Berge, die Farbe des Meers verändern sich nicht.“ Bei jedem Sprung in der Zeit wird eine Schrifttafel mit diesen Worten eingeblendet. Häufig sieht man Totalen, durch die als winzige menschliche Figuren die Schüler tollen vor Berg und See und Natur, und ebenso häufig sieht man die Großaufnahme von Kindergesichtern. Kinoshita zeichnet sein Gesellschaftsporträt als Bewegungsstudie in Zeit und Raum. Sein Film ist so konkret wie die 12 Augenpaare, so abstrakt wie das zyklische Entstehen und Vergehen des Lebens in der Natur.

„Twentyfour Eyes“ ist ein Film über den Tod, und es wird darin geradezu unendlich viel geweint. Jeder Begegnung wohnt, so scheint es, schon ein Abschied inne. Sehr konkret ist der Film dabei ein Stück japanischer Trauerarbeit nach dem Krieg. Nicht dass man ihn verloren hat, wird hier beweint, sondern dass er stattgefunden hat. „Twentyfour Eyes“ klagt die Sinnlosigkeit des japanischen Nationalismus an und trauert um die Toten des Krieges. Er tut dies im intimen Rahmen des shomingeki, also der unspektakulären Alltagsgeschichte, aber gerade aus dieser Beschränkung bezieht er Kraft. In seinen genauen Einstellungen erinnert der Film, gerade wenn die Kamera von recht weit unten in eng begrenzte Innenräume blickt, an das Werk Yasujiro Ozus. Im Übrigen hat Ozus Lieblingsschauspieler Chishu Ryu eine Nebenrolle als Oishis verzagter Kollege.

Der Film wurde bei einer Kritikerumfrage in Japan vor wenigen Jahren unter die zehn wichtigsten Werke der japanischen Filmgeschichte gewählt. Der Regisseur Keisuke Kinoshita (1912–1998) ist im Westen nicht sehr bekannt, hat aber im Laufe seiner mehr als 40 Jahre langen Karriere 50 Filme gedreht, von denen nicht wenige bis heute in seiner Heimat verehrt werden.

Die DVD mit englischen Untertiteln ist in der großartigen Reihe „Masters of Cinema“ bei Eureka erschienen. Die Initiative zu dieser Reihe ging von der Website www.mastersofcinema.org aus. Ihr sind DVD-Editionen vieler sonst nicht zugänglicher japanischer Meisterwerke zu verdanken, von „Humanity and Paper Balloons“ des jung verstorbenen Sadao Yamanaka bis zu Shohei Imamuras New-Wave-Klassiker „Vengeance is Mine“. Für die DVDs werden hochwertige neue Transfers hergestellt, und jede DVD kommt mit reichhaltigen Booklets. Die Edition von „Twentyfour Eyes“ enthält einen umfangreichen Essay der Autorin und Filmwissenschaftlerin Joan Mellen.

EKKEHARD KNÖRER