Döners Delight

Eine zahnsteinfarbene Parallelwelt mit blitzartig einschlagender Gewalt: Detlev Buck erfindet sich neu und erzählt von Berlin-Neukölln – „Knallhart“

von BIRGIT GLOMBITZA

Er kann auch anders. Und wie. „Knallhart“ ist ein klingelnder Titel für seinen neuen Film, damit auch wirklich jedem klar wird, wie ernst es Detlev Buck mit seiner neuen filmischen Gangart ist. Seiner eigenen, schon seriellen Bearbeitung der Humordiaspora in norddeutschen Landstrichen anscheinend überdrüssig, will der Wahlberliner sich nun neu erfinden. Und das muss man ihm lassen: Er geht dabei nicht gerade den Weg des geringsten Widerstandes.

„Knallhart“ ist eine heikle Gratwanderung zwischen der Lust an stereotypen Ausmalungen eines klassischen Gettofilms und den unleugbaren Wahrheiten, die hinter aller Klischeehaftigkeit wohnt. Nicht immer beweist Buck dabei die nötige Trittsicherheit und ein gutes Gespür für visuelle Floskeln und dialogische Plattitüden.

Der Film (nach einem Jugendroman von Gregor Tessnow) erzählt vom 15-jährigen Michael Polischka (David Kroß), der seine Adresse und soziale Umgebung ausschließlich den Amouren seiner flatterigen Mutter Miriam (Jenny Elvers-Elbertzhagen) zu verdanken hat. Das war bürgerliches Zehlendorf, solange Miriam in den Augen ihres Geliebten Dr. Peters (Jan Henrik Stahlberg) Gnade und in seiner Villa ein vorläufiges Zuhause fand. Bis zu dem Tag, da dem Arzt der Sinn nach Jüngerem steht und er die badende Jenny Elvers-Elbertzhagen unumwunden an die Gegenleistung für ihren wirtschaftlichen Aufstieg erinnert: „Fett bist du geworden. Du hast sechs Wochen Zeit, mich wieder geil zu machen.“ Elvers-Elbertzhagen, die ihren Job als ambitionslose Schlampe durchaus mit Selbstironie für das eigene Image absolviert, packt die Koffer. Der Auszug aus der Zehlendorfer Villa gleicht einer Vertreibung aus dem Paradies. Mutter und Sohn landen in einer angeranzten Zweizimmerwohnung in Neukölln und damit im wirklichen Leben jenseits von Wellness-Verabredungen und goldenen Kreditkarten. Miriam versucht den Ortswechsel hartnäckig zu ignorieren. Wir sehen sie im Café Kranzler nach neuen Männern Ausschau halten. Bis sie an der Seite eines schwafelnden Künstlers wieder vom finanziellen Durchbruch und Aufstieg zur besten Gesellschaft träumt.

Für Michael dagegen beginnt hinterm Hermannplatz völlig unvorbereitet ein einsamer Existenzkampf. Er wird beklaut, erpresst, zusammengeschlagen. Höhepunkt der blitzartig einschlagenden Gewalt ist eine Szene, in der Gangchef Erol (Oktay Özdemi) seinem Opfer einen Eimer über den Kopf stülpt, sich selbst die Augen verbinden lässt und mit einem Baseballschläger in der Hand ein grausames „Topfschlagen“ beginnt. Auf die Schule ist auch kein Verlass, solange sich die Lehrer die Unflätigkeiten ihrer Schüler mit Sprüchen „Noch so ein Ding, und du wirst abgeschoben“ vom Leibe halten.

Daraus spricht nicht nur eine resignierte Pädagogik, sondern auch ein Drehbuch, das für manche Kraftmeierei zu haben ist. Der Kokshändler Hamal (Erhan Emre) nimmt den Jungen als Drogenkurier unter seine Fittiche, versorgt ihn mit Geld und Schutz. Aber er wird ihn am Ende auch zu einer monströsen Tat und in die unvermeidliche Katastrophe zwingen.

Was an der Geschichte stören kann, ist nicht die Darstellung türkischer Drogenhändler in ihren dicken, deutschen Autos, nicht das goldbehängte Mackertum. Und auch nicht der Umstand, dass man in Wirklichkeit mit großer Wahrscheinlichkeit doch auch überfallfrei in Neukölln von A nach B gehen kann. Im Gegenteil, beim Gang durchs Viertel beweist Buck ein erstaunliches Gespür für seine Eigenheiten, für seine Frisörsalons, Dönerbuden und Unterführungen, für seine Mischung aus patziger Großmäuligkeit und resignierendem Kleinmut.

Was stören kann, ist die gelegentlich grob operierende Inszenierung, die immer wieder den Zufall bemühen muss, um zwei Figuren zu verbrüdern, zu verfeinden oder um den tragischen Höhepunkt herbeizuzwingen. Und nicht zuletzt die visuelle Einfältigkeit, mit der Buck das Neuköllner Paralleluniversum mit der Handkamera durchforstet. Ganz so, als borge er sich die Ästhetik diverser gefeierter „Berlinfilme“ und wisse dann doch nichts damit anzufangen. Neorealistisch soll es aussehen, mit dem Chic ausgewaschener Farben und unklarer Lichtverhältnisse. Eine zahnsteinfarbene Welt muss her, einerseits. Andererseits lässt sich Buck gerade in der vorgenommenen Schmucklosigkeit immer wieder zu der seltsamen Pittoreske hinreißen, wie man sie so oft in Gettogeschichten findet. Unvermittelte Tiefenschärfenverlagerungen bei Detailansichten von Knien oder Händen sorgen für einen Taumel, der dem bloßen Effekt in den Dienst gestellt ist.

Unglücklich auch die Struktur der Erzählung. Die Rahmenhandlung zeigt Michael gleich am Anfang mit blutverschmierten Händen auf einer Polizeiwache. Das sorgt in dieser Geschichte von verlorener Unschuld und tragischer Initiation nicht nur für allzu klare Vorahnungen, sondern auch für eine moralische Klammer, die dem Film eher lästig als erhellend ist. Sicher hätte uns Buck auch gerne ein bisschen erzogen. Doch allen anstehenden Kino-Diskussionsabenden mit Bezirksbürgermeistern und Bundestagsabgeordneten in Neukölln zum Trotz: für ein Statement zum Ausnahmezustand in den Banlieues vor einigen Monaten greift „Knallhart“ dann doch zu kurz.

„Knallhart“. Regie: Detlev Buck. Mit David Kroß, Jenny Elvers-Elbertzhagen, Erhan Emre u. a. Deutschland 2005. 98 Minuten