Nigeria steht vor einem Schicksalsjahr

In dem westafrikanischen Land stehen 2007 wichtige Wahlen bevor. Schon jetzt bringt sich die politische Klasse in Stellung, um ihren Zugriff auf das lukrative Ölgeschäft im Nigerdelta zu sichern. Das heizt Konflikte an mehreren Fronten zugleich an

AUS LAGOS HAKEEM JIMO

Ein Jahr vor Präsidentschafts-, Gouverneurs- und Parlamentswahlen sorgen in Nigeria gleich mehrere Konflikte für zunehmende Spannungen. Auf politischer Ebene geht der Streit um eine mögliche dritte Amtszeit für Staatschef Olusegun Obasanjo, die bislang in der Verfassung nicht vorgesehen ist. Bei Protesten gegen diese Initiative gab es bereits Todesopfer.

Wesentlich mehr Menschen starben bei religiösen Unruhen. Die Mohammed-Karikaturen boten den Vorwand für das ersten Pogrom gegen Christen, die im muslimischen Norden leben. Nach Angaben der katholischen Bischofskonferenz in dem westafrikanischen Land starben dabei fünfzig Menschen, vierzig Kirchen und einige hundert Häuser und Geschäfte von Christen wurden gebrandschatzt. Seit Beginn der Zivilherrschaft Ende der Neunzigerjahre haben religiöse Konflikte deutlich zugenommen. Aber bislang kam es nie zu Racheaktionen im christlich dominierten Süden des Vielvölkerstaats, bei denen jetzt über hundert Muslime aus dem Norden getötet wurden.

Eine neue Dimension der Gewalt entwickelt sich auch im ölreichen Nigerdelta. Seit Wochen befinden sich ausländische Geiseln in der Hand von Milizen, die sich meist aus Jugendlichen des Ijaw-Volks rekrutieren. Neu ist, dass die Geiseln mehrere Wochen in den Händen ihrer Peiniger ausharren müssen. In den Jahren zuvor kamen sie bei Zahlung eines Lösegelds nach wenigen Stunden oder Tagen frei.

Hinzu kommt eine Fehde zwischen dem Präsidenten und seinem Vize, die bereits zu Spaltungen in der Regierungspartei geführt hat, desweiteren Untersuchungen gegen Gouverneure wegen Korruption, Amtsenthebungsverfahren auf Ebene der Bundesstaaten sowie Festnahmen von Führern lokaler ethnisch motivierter Gruppen.

Vor diesem Hintergrund sprechen viele Nigerianerinnen und Nigerianer von einem Schicksalsjahr 2007. Bis zu den Wahlen wird Präsident Obasanjo, ein ehemaliger Militärmachthaber aus den Siebzigerjahren, das 140 Millionen Einwohner zählende Land seit acht Jahren geführt haben. Schon die letzten Wahlen 2003 liefen nicht ohne Konflikte ab. Beispielsweise sicherte sich Obasanjo im Nigerdelta 90 Prozent der Stimmen, obwohl die Stimmung längst gegen die Zentralregierung umgeschlagen war. Das Militär hatte nämlich erste militante Aufstände in der Ölregion mit der Zerstörung ganzer Dörfer beantwortet. Bei einer Strafaktion 1999 wurden in Obi zwischen 2.000 und 3.000 Menschen getötet. Seitdem nimmt die Gewalt in der unterentwickelten Region weiter zu, in der allerdings 90 Prozent des gesamten Staatseinkommens erwirtschaftet werden.

In Nigeria dominieren öffentliche Aufträge die wirtschaftlichen Aktivitäten. Für das lukrative Ölgeschäft braucht man Einfluss auf jemanden, der einen hochrangigen öffentlichen Posten bekleidet. Daher bringt sich die politische Klasse bereits jetzt für das Superwahljahr 2007 in Stellung. Hinter jedem Gouverneur oder Abgeordneten steht ein so genannter Pate. Diese grauen Eminenzen ziehen auf der politischen Bühne die Strippen, um die viel interessantere wirtschaftliche Bühne nach ihrem Willen zu gestalten.

Nicht einmal das Wahlvolk wird von dieser Elite ins Kalkül miteinbezogen. Entschieden wird nicht etwa an der Urne, sondern schon vorher, nämlich bei der Frage, wessen Name überhaupt auf dem Wahlzettel steht. Der eigentliche Machtkampf findet daher bei der Aufstellung der Parteilisten statt. Über eines sind sich Nigerianer aller Schichten einig – die Menschen auf der Straße, die traditionell furchtlose Presse wie auch ins Abseits geratene Politiker: Von einer demokratischen Meinungsfindung für dem Gemeinwohl förderliche Entscheidungen kann im heutigen Nigeria nicht die Rede sein.

Die akuten Krisen haben ihre Ursachen in diesem Alles-oder-nichts-Kampf in der politischen Elite. Mächtige Muslimführer stacheln Horden verarmter Jugendlicher auf, der Zentralregierung mehr Zugeständnisse für den Norden abzupressen. Und die Gewalt wäre nicht so stark eskaliert, würden nicht hochrangige Funktionäre selbst tief in dem Ölschmuggel verwickelt sein, ganz zu schweigen von der Korruption, die jegliche Entwicklung verhindert hat. Die Absetzung von Amtsträgern in den Bundesstaaten ist Teil des Stellungsspiel der rivalisierenden politischen Lager. Und das Einsperren lokaler ethnischer Führer, die durch die Zentralregierung konsequent verfolgt werden, dient der Einschüchterung von Volkstribunen, die durchaus die Fähigkeit besitzen, ihre Anhänger anzuführen.