Reich und berühmt

Retrospektive als Dokumentation, Installation und als etwas aus der Form geratener Museumsshop voller rätselhafter Artefakte: Die kanadische Künstlergruppe General Idea im Münchener Kunstverein

Wir wussten, dass wir, um glamourös zu werden, Plagiatoren, intellektuelle Schmarotzer werden mussten

von ESTHER BUSS

Logos und Zeichen schwirren einem entgegen: Copyright-©s, immer wieder das Blockstreifenmuster des Fernsehtestbilds, das große Ypsilon des Yen oder eine heraldische Version des Pudels. Ein dichtes, ikonografisches Gewebe, das zu wuchern scheint und sich in alle Ecken und Enden ausbreitet – auf Postern, Postkarten, Zeitschriften, Geschirr, Seidenschals, Tapeten und Flaggen. Im Kunstverein München ist nun erstmals eine Retrospektive der Editionen von General Idea in Europa zu sehen. Dabei bewegt sich die Ausstellung zwischen Dokumentation, Installation und einem etwas aus der Form geratenen Museumsshop mit rätselhaften Artefakten.

Die Idee des „Shops“ bildete schon den Hintergrund für die allererste Aktion des kanadischen Künstlerkollektivs, das 1968 von AA Bronson, Felix Partz und Jorge Zontal in Toronto gegründet wurde. In der zur gemeinsamen Wohnung gehörenden Ladenfront wurden Simulationen von Schaufensterauslagen gezeigt. Die wechselnden Arrangements von Readymades wurden jedoch bald von seriell produzierten Arbeiten abgelöst, die sowohl in Museen verkauft wurden als auch in den eigenen, als „Boutique“ inszenierten Läden.

Hinter dieser scheinbaren Affirmation von Konsum, Dienstleistung und dem Warencharakter von Kunst stand das Konzept, alle Verbreitungsmöglichkeiten einer Konsum- und Mediengesellschaft zu nutzen für andere, gar nicht so mainstreamige Inhalte. Die frühen Aktionen waren hingegen eher „Pastiches“ und verweisen bereits auf Subversionsstrategien der Neunzigerjahre. So dokumentieren zahlreiche Publikationen in der Ausstellung den „Miss General Idea Pageant“, eine Serie von aufwändig inszenierten Performances. Diese an klassische Schönheitswettbewerbe angelehnten Parodien mit rituellem Drum und Dran wie Einladungskarten, Luxuslimousinen, einer Preisverleihung etc. fanden im engen Kreis ausgewählter Künstlerbekannten statt. Dabei ging es nicht nur um einen Kommentar auf den herrschenden Kunstbetrieb mit seinen oft willkürlichen Auswahlverfahren und stupiden Ranglisten, sondern auch um eine Feier von queerer Identität und Glamour.

In ihrem manifestartigen Artikel über Glamour erheben sie den Anspruch, „reich und berühmt“ zu sein, weiter heißt es: „Wir wussten, dass wir, um glamourös zu werden, Plagiatoren, intellektuelle Schmarotzer werden mussten.“

Der Strategie folgend, die sie selbst einmal als „ambiguity without contradiction“ bezeichnet haben, suchten sich General Idea zunehmend in die visuell dominierte Medienlandschaft einzuschmuggeln. Künstlerische Verfahren wie Aneignung oder Plagiat wurden zum wichtigen Bestandteil ihrer Installationen, Performances, Videos und zahlreichen anderen Unternehmungen. Die eigene Publikation, File Magazine, dessen erste Ausgabe 1972 erschien, glich etwa bis ins Detail einer Ausgabe des Life Magazine aus den Vierzigerjahren. Es kam sogar zur Anzeige wegen Verletzung des Copyright. Dass General Idea auch aus der eigenen Autorschaft einen Witz machten, zeigt eine Sondernummer der Zeitschrift zum Thema Paris mit dem Titel „Ifel“.

Wie ein Virus in einen Organismus sollten ihre Aktionen in die etablierte Kultur eindringen und sich darin ausbreiten. Doch der an Borroughs’ „language is virus“ angelegte Ausspruch „image is virus“ glich plötzlich einer düsteren Prophezeiung, als General Idea Aids zum zentralen Bildmotiv einer umfassenden und systematischen Kampagne machten. Der Gegenstand und Ausgangspunkt ihrer Aneignung war diesmal eines der berühmtesten Pop-Art- Bilder: Robert Indianas „Love“-Gemälde von 1966, ein aus rot-blau-grünen Schablonenbuchstaben zusammengesetztes Quadrat, wurde durch seine massenhafte Vervielfältigung auf Postern, Tassen und Einkaufstüten bereits eine Art Gassenhauer. Aus „Love“ wurde also „Aids“. Das Logo wurde bald auf alle erdenklichen Arten verbreitet – auf Plakaten, Tapeten, Gemälden, auf der New Yorker U-Bahn – und landete schließlich sogar auf der Leuchtschriftenwand am Times Square.

Bis zu dem frühen Aids-Tod von Felix Partz und Jorge Zontal 1994 war die tödliche Krankheit auch bei den nachfolgenden Projekten das vorherrschende Thema. General Idea entwarfen „Placebo“ genannte kapselförmige Pillen in verschiedensten Variationen, als minimalistische Skulpturen oder als heliumgefüllte Silberballons, die nun an der Decke des Kunstvereins schweben. Diese „magi© bullet“ genannte Installation ist ein „Remake“ von Andy Warhols legendären „Silver Clouds“, deren buchstäbliche Leichtigkeit einen bitter-ironischen Zug bekommt. Auch bei der „Infected“ benannten Serie von Editionen dienten bekannte Kunstwerke als Vorlage. Ein Stuhl von Gerrit Rietfeld wurde durch farbliche Veränderungen „krank“ gemacht und heißt jetzt „Infected Rietfeld Chair“.

In den letzten Arbeiten standen meist Selbstinszenierungen im Vordergrund. Mit stark stilisierten Fotos, auf denen das Dreiergespann mal als besorgtes Ärzteteam, mal als Pudelgruppe zu sehen ist, wird auf gleichermaßen anspielungsreiche wie alberne Art die eigene Geschichtsschreibung betrieben. Schließlich sieht sich das Künstlerkollektiv sogar in Form dreier Robbenbabys verkörpert, die etwas verloren auf einem weißen Fell liegen. Die konzeptionelle Schärfe und der präzise Witz weichen hier einer Überaffirmation des Kitschigen und Putzigen, der plötzlich auch etwas Trauriges anhaftet.

Bis 16. April