Bittere Pille für Berlin

Das Darmstädter Unternehmen Merck will den Pharmakonzern Schering schlucken. Grüne kritisieren den Übernahmeversuch. Beim einzigen DAX-Unternehmen der Stadt arbeiten 6.000 BerlinerInnen

von RICHARD ROTHER

Noch im Februar verkündete der Berliner Pharmakonzern Schering glänzende Zahlen für das abgelaufene Geschäftsjahr – jetzt ist er zum Objekt einer feindlichen Übernahme geworden. Das Darmstädter Chemie- und Pharmaunternehmen – im Unterschied zu Schering weitgehend in Familienbesitz – will das einzige Berliner Unternehmen schlucken, das in der ersten Börsenliga, dem DAX, spielt. Dafür möchte man mehr als 14 Milliarden Euro hinlegen. In Berlin stößt das Angebot jedoch auf wenig Gegenliebe; schließlich lässt sich niemand gern von einem etwa gleich großen Kokurrenten aufkaufen – und möglicherweise zerschlagen. Entsprechend lang und intensiv dürfte die Schlacht um Schering werden.

Beide Seiten wetzten gestern schon mal kräftig die Messer. „Das Angebot ist uns unaufgefordert vorgelegt worden, es ist nicht von uns erwünscht“, so Schering-Chef Hubertus Erlen in einem Zeitungsinterview. Das Merck-Angebot stelle eine erhebliche Unterbewertung dar. Merck bietet verkaufswilligen Schering-Aktionären an, ihr Papier für 77 Euro je Aktie zu kaufen. Nach Bekanntwerden der Übernahmeabsicht war die Schering-Aktie steil nach oben geklettert. Gestern Nachmittag kostete das Papier schon mehr als 85 Euro. Und Schering-Sprecher Oliver Renner setzt auf weiteres Gewinnwachstum. „Mit unserer Strategie schaffen wir langfristig eine hohe Profitabilität für unsere Aktionäre.“

Verschlucken sich die Darmstädter also an Berlin? Nein, meint Merck-Geschäftsführer Michael Römer: „Es ist die richtige Transaktion zum richtigen Zeitpunkt.“ Die Übernahme von Schering baue auf dem bisher Erreichten auf, mache Merck für die Zukunft sicher und schaffe „ein starkes Unternehmen aus Deutschland“. Die Führung des Darmstädter Unternehmens machte gestern klar, dass sie gewillt ist, Schering auch gegen Widerstände zu schlucken.

Bei solchen Tönen kriegen die Berliner einen dicken Hals. „Eine feindliche Übernahme wäre verheerend für Berlin“, sagte gestern die Wirtschaftsexpertin der Grünen-Abgeordnetenhausfraktion, Lisa Paus. Merck habe wahrscheinlich kein Interesse am Standort Berlin, sondern verfolge seine globalen strategischen Ziele. Nach einer Übernahme wären sämtliche Schering-Aktivitäten in Berlin von Wohl und Wehe der Konzernmutter abhängig. „Das wäre ein herber Schlag für den Gesundheitsstandort Berlin.“ Der rot-rote Senat und auch CDU-Spitzenkandidat Friedbert Pflüger müssten versuchen, institutionelle Schering-Anleger von den Vorteilen eines eigenständigen Unternehmens Schering zu überzeugen. Knapp 70 Prozent der Schering-Aktionäre sind institutionelle Anleger.

Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei.PDS) hielt sich gestern mit einer Bewertung zurück. Wolf habe aber mit Schering-Chef Erlen telefoniert und werde auch mit Merck reden, sagte Wolf-Sprecher Christoph Lang. Oberstes Interesse des Senats sei, dass Unternehmenssitz und Arbeitsplätze blieben.

In Berlin verdienen rund 6.000 Menschen ihre Brötchen bei Schering – in Produktion, Forschung und mit der Herstellung von Verpackungen. Zudem engagiert sich Schering am Wissenschaftsstandort Adlershof, und Ex-Schering-Manager Günther Stock ist Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

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