Angst vor der Stunde null


AUS KINSHASA DOMINIC JOHNSON

Die Straße heißt „Allee des Friedens“, aber der Name täuscht. Das Büro von Kongos größter Menschenrechtsorganisation befindet sich in einer engen Gasse im Zentrum der Hauptstadt Kinshasa, wo bettelnde Kinder mit Sonnenbrillenverkäufern um den besten Platz wetteifern und Autoabgase die drückend schwüle Sommerluft der drittgrößten Metropole Afrikas füllen.

Hier, im ersten Stock eines seit Kolonialzeiten nicht mehr gestrichenen Bürogebäudes, residiert der „Afrikanische Menschenrechtsverband“ (Asadho – Association Africaine des Droits de l’Homme). Gemeinsam mit vielen zivilgesellschaftlichen Gruppen des Kongo versucht Asadho wenige Monate vor den ersten richtigen freien Wahlen, den Menschen in der Acht-Millionen-Metropole Kinshasa zu erklären, was Wahlen sind. „Wir sagen den Leuten, dass von ihrer Entscheidung die Zukunft des Landes abhängt“, sagt Asadho-Präsident Amigo Ngunde. „Und wir erzählen ihnen, was gute Regierungsführung ist.“

Eine solche nämlich kennen die 60 Millionen Kongolesen bisher nicht. Willkürherrschaft, Rechtlosigkeit und Verarmung prägen ihren Alltag. Seit Jahrzehnten stehlen die Reichen des Landes ungeniert die Reichtümer des Landes und bekämpfen sich auch manchmal deswegen. Derzeit sitzen sie gerade wieder einträchtig zusammen – in einer aus einem Friedensvertrag hervorgegangenen Übergangsregierung.

Doch am 18. Juni soll das Volk entscheiden, wer in Zukunft das Sagen im Kongo hat. Es müsste für das geschundene Land im Herzen Afrikas ein großer Augenblick sein, vergleichbar mit dem Ende der Apartheid in Südafrika. Aber es ist ein Moment der Angst. Auch die UNO, die im Kongo ihre weltgrößte Friedensmission unterhält, macht sich Sorgen. Deswegen wird über eine europäische Eingreiftruppe nachgedacht.

Von Ängsten ist auch viel auf den Asadho-Veranstaltungen in den Kirchen und Gemeindehallen der Slums von Kinshasa die Rede, berichtet Vizepräsidentin Marie Mossi. Sie zählt die Fragen auf, die die Leute stellen. „Werden die Politiker auf unsere Wünsche hören? Wenn wir heute wählen, gibt es dann morgen wieder Diktatur? Wenn wir die wählen, die jetzt schon regieren, wieso sollten die dann hinterher anders regieren als jetzt? Werden sie nicht die Wahl fälschen? Und wenn sie fälschen, wieso wollt ihr dann, dass wir wählen gehen?“

Bundeswehr an den Flughafen

Auf all diese Fragen gibt die mögliche Entsendung von Bundeswehrsoldaten keine Antwort. Die EU-Mission dient nach Ansicht der verantwortlichen Planer der Abschreckung. Durch ihre bloße Präsenz sollen mögliche Wahlfälscher oder Putschisten vom Handeln abgehalten werden. An 1.500 Soldaten ist gedacht, je ein Drittel aus Deutschland und Frankreich – der Rest wird noch gesucht. Und auch ihre genauen Aufgaben sind noch unklar. Bei der UN-Mission im Kongo (Monuc) ist davon die Rede, dass die Deutschen kurz vor der Wahl am internationalen Flughafen von Kinshasa landen und im Notfall die Evakuierung ausländischer Wahlbeobachter und den Einflug französischer Kampftruppen absichern. Die Franzosen, die in Nachbarländern in Reserve gehalten werden, könnten im Krisenfall die staatlichen Institutionen schützen. „Die Bundeswehr muss im Fuchs-Panzer den Boulevard rauf- und runterfahren“, findet der deutsche Leiter der politischen Abteilung der Monuc, Albrecht Conze.

Das bisherige Szenario ist keines, mit dem man die Kongolesen davon überzeugen könnte, die Wahl werde friedlich und fair sein. Und es schreckt sicher auch keinen entschlossenen Wahlfälscher ab, zumal die meisten der 1.500 Soldaten gar nicht im Kongo stationiert werden sollen. Präsident Joseph Kabilas Garde GSSP aber hat 16.000 Mann. Ex-Rebellenführer Jean-Pierre Bemba, der die Gelder von Altgrößen der Mobutu-Diktatur hinter sich weiß, hat 6.000 Kämpfer vor den Toren der Metropole – unweit des Flughafens, in Maluku, nahe am Industriegelände der deutschen Holzfirma Danzer, die Kongos Tropenwälder ausbeutet.

UN- und EU-Verantwortliche rechtfertigen ihren Interventionswunsch so: Die internationale Gemeinschaft hat zehntausende Truppen und Milliardensummen in Kongos Frieden investiert – jetzt muss sie auch dafür sorgen, dass die Wahlen ein Erfolg werden.

Floribert Chebeya, Leiter von Kongos anderer großer Menschenrechtsorganisation VSV (Stimme der Stimmlosen), interpretiert dieses Argument auf seine Weise: „Wir werden Wahlen nach dem Geschmack der Geldgeber kriegen“, fürchtet er, während er in einem Schnellimbiss in Kinshasa unruhig um sich blickt. „Auf EU-Ebene macht sich eine Intoleranz gegenüber jeder Kritik an diesen Wahlen breit. Man sagt uns: Wir haben die Wahlen bezahlt, wir haben im Kongo mehr Geld für Wahlen ausgegeben als irgendwo sonst auf der Welt, also muss das jetzt laufen. Alle sagen immer nur: Wahlen, Wahlen, Wahlen. Aber das Leben, so wie wir es kennen, geht weiter. Man kann jemanden töten und niemand sagt was.“

Protest wird in Kinshasa heute nicht toleriert. Um die Ecke vom Asadho-Büro versuchten am letzten Freitag unbewaffnete Teilnehmer einer genehmigten Oppositionsdemonstration, Forderungen nach einer erneuten Phase der Wählerregistrierung bei der UN-Mission einzureichen. Kongos Polizei beschoss sie mit scharfer Munition und Tränengas. Die UN-Truppen hinter ihren Sandsäcken vor der Monuc-Zentrale drei Straßenzüge weiter blieben untätig.

Im Lagezentrum der Monuc hängen „Wahlrisikokarten“. Rote Flecken in Kinshasa bedeuten mögliche Unruhepunkte, rot schraffierte Flächen in den Provinzen Gebiete der „Belästigung durch Sicherheitskräfte“. Es gibt sehr viele davon. Unzählige Pfeile, Kreise und Abkürzungen bezeichnen bewaffnete Gruppen und ihre Hochburgen. Und das entspricht der Realität.

Im Ostkongo wächst die Zahl der Kriegsvertriebenen. Die verschiedenen Teile der neuen nationalen Armee FARDC, aus Kämpfern der früheren Bürgerkriegsarmeen gebildet, bekämpfen einander. Im Rest des Landes gibt es keine neutralen Sicherheitskräfte und fast nirgends UN-Truppen, sondern nur Privatarmeen und Reste von Polizei und Armee, die den jeweiligen lokalen Größen unterstehen.

Eine landesweite Wahl, vor allem die in 500 Wahlkreise aufgeteilte Parlamentswahl, ist da ein Rezept für den Flächenbrand. Viele Kongolesen verdächtigen die internationale Gemeinschaft, angesichts dieser Situation den starken Staat zu wollen – also einen unangefochtenen, stabilen Präsidenten Joseph Kabila. Sie erfinden Verschwörungstheorien über dunkle Machenschaften – Theorien, die ein hochrangiger Monuc-Berater unumwunden bei der ersten Nachfrage bestätigt. Klar, das CIAT – das „Internationale Komitee zur Begleitung des Übergangsprozesses“, in dem sich Kongos Partnerländer einmal wöchentlich mit Kongos Übergangsregierung abstimmen – sei „politisch kompromittiert“, sagt er. Man wolle ausdrücklich Kabilas Sieg im ersten Wahlgang.

Die USA versprechen sich davon eine Sicherung von Bergbauvorkommen, auf die auch China sein Auge wirft. Frankreich erhofft sich die Rückkehr verlorengegangenen Einflusses. Die anderen Länder ziehen mit – auch Deutschland, das im CIAT die EU vertritt. Da Frankreich unterhalb des in Potsdam anzusiedelnden Hauptquartiers des EU-Einsatzes die operative Führung vor Ort übernehmen soll und seine Truppen die sichtbarsten im Krisenfall wären, dürfte die politische Stoßrichtung einer EU-Intervention im Kongo damit klar sein.

Der UN-Berater lacht ungläubig auf, als er erfährt, in Deutschland verbinde man mit einem Kongo-Einsatz vor allem Kindersoldaten und Tropenseuchen. „Ihr seid ja schlimmer als die Uruguayer!“, schnaubt er verächtlich. Uruguayische UN-Soldaten blieben im nordostkongolesischen Bunia untätig, als vor ihren Augen Massaker stattfanden.

In Kinshasas Zivilgesellschaft ist der Glaube an die Macht der internationalen Partner jedoch ungebrochen. „Wenn die internationale Gemeinschaft sagt, es soll saubere Wahlen geben, wird es sie geben“, glaubt Asadho-Präsident Ngunde. „Aber sie muss neutral sein.“ Seine Stellvertreterin Mossi ist nuancierter: „Die Truppe muss die Sicherheit der Bevölkerung garantieren. Heute fühlen sich die Menschen nicht sicher.“

Traum vom starken Staat

Die Machtzirkel um Kabila, die den jungen Präsidenten nach der Ermordung seines Vaters Laurent-Désiré Kabila 2001 in den Chefsessel hievten, wollen die Kabila-Partei PPRD (Volkspartei für Wiederaufbau und Demokratie) zu einer omnipräsenten Staatspartei aufbauen. Taktisch klug, treiben sie den Spaltpilz in die Parteien ihrer Gegner, damit keine starke Opposition aufkommt. Aber die PPRD hat weder einen landesweiten Apparat noch fähige Kader. Sie muss die Menschen bestechen, damit man sie toleriert. Sie braucht also einen Wirtschaftsaufschwung. Damit befindet sie sich immerhin in objektiver Interessengleichheit mit dem Volk.

Tatsächlich beginnt Kinshasas Wirtschaft sich zu beleben. Die Metropole erlebt einen Bauboom, in den Hauptstraßen herrscht Dauerstau. Der deutsche Unternehmer Oliver Meisenberg, dessen mit Weltbankhilfe gegründete Bank ProCredit als erste des Landes ganz normale Konten für normale Menschen anbietet, kann sich vor Publikum kaum noch retten. Täglich kommen 60 bis 100 Kunden dazu, eine Kapitalaufstockung sei geplant, sagt er, während er zur Baustelle seiner nächsten Filiale im aufsässigen Armenviertel Masina fährt. Die EU-Eingreifdiskussion sei da „das falsche Signal“, schimpft er: „Ich will mich nicht evakuieren lassen!“ Sein Bauleiter in Masina, Georges Makanda, stellt klar: „Politik interessiert mich nicht. Wir warten einfach, dass die Wahlen vorbeigehen und alles ruhig bleibt. Man muss an die Zukunft glauben.“

Ohne diesen Gründergeist wird Kongo nie aus dem Elend herausfinden. 90 Prozent der Kongolesen leben in absoluter Armut. Aber während die Wirtschaft vorankommt, stagniert die Politik. Unabhängige gesellschaftliche Kräfte haben es nicht geschafft, sich zu organisieren und dem Phänomen eine Stimme zu geben, das das Überleben der Kongolesen in den Jahren des Niedergangs sicherte: der Aufbau eigener Strukturen außerhalb des Staates und der formellen Ökonomie.

Ist Kongos Wahl also schon gelaufen? Für die Politiker ja, so scheint es – jeder will sich möglichst teuer an den wahrscheinlichen Sieger verkaufen. Aber für die Menschen nicht – sie wollen eine neue, bessere Zeit, und die Wahl soll das bringen. Irgendwann werden diese beiden Vorstellungen aufeinander prallen. Vielleicht mit deutschen Zuschauern.