Vollwertgefühle

Buchmessern (1): Ein Preis, eine Pressefreiheit, viele Erfolge – heute wird die Leipziger Buchmesse eröffnet

Der ukrainische Schriftsteller Juri Andruchowytsch hält heute Abend bei der Eröffnung der Leipziger Buchmesse seine Dankesrede für den „Buchpreis der Europäischen Verständigung“. Man kann davon ausgehen, dass er keineswegs versöhnliche, verständigende Worte finden wird für Europa und seine Probleme mit dem Größerwerden und Zusammenwachsen. Nein, Andruchowytschs Rede dürfte eine eher zornige werden, und zwar frei von Ausschweifungen, wie man sie von seiner Literatur und insbesondere seinem letzten Roman „12 Ringe“ kennt, sondern eine, die das schwierige Verhältnis von Europa und der Ukraine auf den Punkt bringt, speziell von dem Europa, das mit der Aufnahme von Polen, Ungarn und der Slowakei in die EU seine Grenzen vor der Ukraine zieht und diese außen vor lässt.

Die Ukraine, so hat Andruchowytsch in einem Essay für Martin Pollacks Sammelband „Sarmatische Landschaften“ geschrieben, brauche die europäische Perspektive, bekomme sie aber nicht, „wobei ihr die europäische Seite vor allem vorhält, Gesellschaft und Eliten seien nicht für Eurostandards gerüstet“. Für Andruchowytsch aber gibt es nur einen gültigen Eurostandard, nämlich den, „totalitäre Regime friedlich abzulösen“. Das habe die Ukraine mit ihrer orangenen Revolution hinreichend bewiesen, weshalb Andruchowytsch, der im November 2004 auch öffentlich den Wahlbetrug des damaligen ukrainischen Präsidenten Kutschma anprangerte, wenigstens eine Erleichterung in Sachen Visapflicht fordert: „Dass die polnischen Grenzer, diese Wachhunde Schengens, nicht auf Kosten der Ukrainer ihren Vollwertigkeitskomplex pflegen dürfen.“

Dass das mit der Verständigung so eine Sache ist, das bewies auch die Leipziger Buchmesse selbst, als sie der nationalkonservativen Zeitung Junge Freiheit untersagte, im Umfeld ihres Messestandes eine Sonderveranstaltung zum 20-jährigen Jubiläum abzuhalten, und ihr im Zuge dessen eine Standzulassung verweigerte. Die Junge Freiheit sah gleich die Pressefreiheit bedroht und schaltete in deutschen Tageszeitungen einen „Appell für die Pressefreiheit“, den mancher prominente Publizist von Eckhard Henscheid bis Joachim Fest unterzeichnete.

Eine unappetitliche Sache, ausgerechnet von der Jungen Freiheit auf die Pressefreiheit hingewiesen zu werden, von einem Blatt, in dem schon mal Verständnis für Holocaustleugner aufgebracht wird. Nach einer erregten Pressekonferenz, die abgebrochen wurde, und dem Austausch der üblichen Argumente (Sicherheitsgefährdung versus Meinungsfreiheit), einigte man sich einen Tag später: Die Junge Freiheit darf einen Stand aufbauen und zu ihrem Jubiläum einen halbstündigen Vortrag zur Presse- und Meinungsfreiheit halten lassen, hat ansonsten aber die Auflage, sich über den konkreten Verlauf von Lesungen und Interviews an ihrem Messestand mit der Messeleitung ins Benehmen zu setzen. Leicht auszudenken, wie das rechte Blatt seinen angedrohten Ausschluss ausschlachten wird, da könnte sich die Messe mit ihrem ungeschicktem Verhalten wohl ein Problem für die vier Messetage geschaffen haben.

Keine Probleme dagegen gab es im Vorfeld, Meldungen über die gute Gesamtverfassung der Leipziger Buchmesse zu verbreiten. Aussteller- und Besucherzahlen steigen, ja, die Messe schreibt nicht mal mehr rote Zahlen, und Preise wie der der Leipziger Buchmesse oder der Kurt-Wolff-Preis erhalten mehr und mehr Aufmerksamkeit.

Erstmals im Programm ist die „Autorenwerkstatt Prosa“, auf der Stipendiaten des Literarischen Colloquiums Berlins ihre Texte lesen werden, sowie die „Leseinsel junger Verlage“, auf der sich die zuletzt florierenden kleinen, unabhängigen Verlage gemeinsam präsentieren, und mit dem 1.800 Veranstaltungen zählenden Festival „Leipzig liest“ wird einmal mehr dafür gesorgt, dass eine ganze Stadt im Bann der Bücher und der Literatur steht.

Mag die Konzentration im Buchhandel immer dichter werden, mögen Verlage und Buchhandel Stoßseufzer ob weiterhin ausbleibender Umsatzsteigerungen ausstoßen – eine Buchmesse wie die Leipziger (ebenso wie das gerade in Köln stattfindende Literaturfestival „litcologne“) hat ihre eigenen Erfolgsgesetze, und deren Geheimnis ist: Event, Event, das Lichtlein brennt.

GERRIT BARTELS