Die Hand auf der Opernplatte

Gender Trouble auf dem Terrain des Roadmovies: In Duncan Tuckers schönem Spielfilmdebüt „Transamerica“ geht es um eine Mann-zu-Frau-Transsexuelle, die kurz vor der entscheidenden Operation entdeckt, dass sie einen Sohn im Teenageralter hat

VON CLAUDIA LENSSEN

Eine Frau allein vor dem Spiegel. Sie schaut sich dabei zu, wie sie ihre Stimme in eine Tonlage hochschraubt, die mit ihrem Selbstbild übereinstimmt – eine ziemlich absurde intime Szene, die unmittelbar den komödiantischen Touch bestimmt, in dem „Transamerica“ von ambivalenten Genderrollen erzählt. Später hält Bree, die Frau im Mittelpunkt, einmal die Hand auf eine rotierende Opernplatte und lässt den Sopran einer Sängerin einen Moment lang in den Tenor kippen.

In Duncan Tuckers Spielfilmdebüt hat Transsexualität viel mit der Energie und dem Einsatz zu tun, Weiblichkeit immer wieder neu in Form zu bringen, um Stellung zu behaupten in einem Kleinkrieg gegen die eigene und die fremde Wahrnehmung, um sich so überhaupt ihrer selbst zu versichern. Frausein ist in diesem Film eine schauspielerische Disziplin, ein Trainingsprogramm und Operationsplan, aber auch ein flirrend leichtes Spiel mit den Täuschungseffekten von Genderrollen.

Wenn Felicity Huffman als Bree ihr strenges Kosmetik- und Dressingritual hinter sich hat und auf die Straße geht, wirkt sie wie ein Transvestit im Retro-Look, mit jedem gezierten Schritt um Eleganz bemüht, eine schräge konservative Glamourpuppe an der Bushaltestelle. Sie führt – in Tuckers Film präzise beobachtet und beiläufig inszeniert – das Leben einer nicht mehr jungen Single-Frau in einem bescheidenen Quartier von Los Angeles. Bree muss sich vor ihrer Therapeutin und Gutachterin bewähren, sie ist – kurz vor der entscheidenden Operation, die sie zur Frau machen soll – aufs Höchste angespannt. Wie in diesem heiklen Moment die Vergangenheit in das einsame Leben der Exzentrikerin einbricht und sie auf eine Reise schickt, erzählt „Transamerica“ als atmosphärisches Roadmovie. Die Frau, die ihre Weiblichkeit eloquent und schlagfertig zu verteidigen weiß, wird durch einen Anruf aus einem New Yorker Jugendknast mit der Tatsache konfrontiert, in ihrem Vorleben als Mann einen Sohn gezeugt zu haben. Bree muss sich um den halbwüchsigen, in Stricher- und Drogengeschäfte geratenen Toby kümmern, sich ihrer Vergangenheit stellen, verlangt die Therapeutin als letzten Beweis für ein gefestigtes Selbst.

Bree, deren Tricks und Täuschungen, Stärken und Schwächen das absolute Kraftzentrum von Duncan Tuckers Film sind, gibt sich vor dem jungen Macho als christliche Missionarin aus und holt ihn so aus dem Gefängnis. Die Autotour des ungleichen Gespanns, zunächst zurück in die Gegend, aus der Tobys verstorbene Mutter stammte, und weiter Richtung Kalifornien, quer durch Arkansas und Arizona, wird zur Abenteuerreise, in der Bree ihr angepasstes Weiblichkeitskostüm gegen die ruppige Nonchalance des Jungen (Kevin Zegers) verteidigen muss. Toby durchschaut nach und nach das Versteckspiel um ihre Geschlechtszugehörigkeit, verleugnet den Schock jedoch auf die Macho-Art, und so bleibt nicht aus, dass das allmählich gewachsene Vertrauen zwischen beiden in eine dramatische Auseinandersetzung kippt. Toby wirft der Vater-Mutter vor, ihn belogen zu haben. Es geht nicht um die Abwehr „fremder“ Transsexualität in „Transamerica“, vielmehr um die elementaren Fragen gegenseitiger Offenheit.

Felicity Huffman genoss es sichtlich, Brees Metamorphosen von der zickigen Missionarin zur nervösen Überlebenskünstlerin als Demaskierung zu zelebrieren. Die 44-jährige Schauspielerin kann in dieser Rolle typische Hollywoodkonventionen weiblicher Schönheit aufkündigen und ihr ungeschminktes androgynes Gesicht zeigen. Für die Rolle der Bree erhielt die kalifornische Theaterschauspielerin – auch als Lynette in der Fernsehserie „Desperate Housewives“ bekannt – den Golden Globe und eine Oscar-Nominierung.

Das „Trans“ in „Transamerica“ steht auch für einen irritierenden Streifzug durch die Komplexität amerikanischer Identitäten. Toby konfrontiert die mit ihm reisende Bree mit dem Mythos, den er aus seinem abwesenden Vater geformt hat. In seinen Träumen und Fantasien stammt er von Indianern ab, und es dauert bis zur Ankunft in Los Angeles, bis die völlig veränderte Bree ihn mit ihrer exaltiert neurotischen Normalfamilie konfrontiert. Diese Episode ist einer der absurd dramatischen Höhepunkte in Tuckers schönem Debüt: Bree hat ein christlich-jüdisches Elternhaus der typischen Mittelklasse, in dem die Rollen zwischen der dominant-hysterischen Mutter (Fionnula Flanagan) und dem hilflosen Vater (Burt Young) grausam verteilt sind. Dass Bree sich selbst neu erschaffen will, ist unmittelbar nachvollziehbar. Ob ihr Sohn sich am Ende der Reise und nach ihrer Operation für sie entscheidet, bleibt in der Schwebe.

„Transamerica“, Regie: Duncan Tucker. Mit Felicity Huffman, Kevin Zegers, Fionnula Flanagan, Burt Young u. a., USA 2005, 103 Min.