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: Moritaten der Migration

Dass „wir“ uns gegenseitig unsere Geschichten erzählen müssten, war eine Forderung, die in der Nachwende-Zeit von ehemaligen DDR-Bürgerrechtlern häufig erhoben wurde. Jetzt wird sie eingelöst, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Denn wohl noch nie haben sich so viele Deutsche für das Leben ihrer türkischen Nachbarn interessiert wie heute.

Das Maxim-Gorki-Theater in Berlin, bislang nicht für Multikulti-Debatten bekannt, war jedenfalls gut gefüllt, als die streitbare Bestseller-Autorin Necla Kelek („Die fremde Braut“) hier ihr neues Buch über Stolz und Ehre unter türkischen Immigranten vorstellte, wenn auch das deutschstämmige Bildungsbürgertum weitgehend unter sich blieb. Wie eine orientalische Märchenerzählerin an den Lagerfeuern der Karawanserei las Kelek aus ihrem Buch eine Moritat aus jener archaischen Welt, aus der viele türkische Einwanderer einst nach Deutschland kamen, den anatolischen Bergen. Sie jagte ihren Zuhörern damit so manchen Schauer über den Rücken, denn diese Welt ist inzwischen Teil deutscher Realität geworden. Mit ihrem Stil, der gelegentlich die Grenze zum Kitsch überschreitet („das kalte Herz der Berge“), ihrer Krimi-Dramaturgie und folkloristischen Detailliebe vermag sie Leser zu fesseln. Es ist ihr Erfolg, dass die Deutschen nun endlich zuhören.

Manche sind ehrlich erstaunt, dass diese Neugier so lange auf sich warten ließ. „Die Probleme sind doch schon seit Jahrzehnten bekannt. Warum wird erst jetzt darüber geredet?“, fragte jemand aus dem Publikum. Und: „Wenn das Thema wirklich so wichtig ist für Ihre Landsleute, wieso sind dann nur so wenig hier?“, eine andere Person. Dass die Debatte um Frauenrechte und Männerstolz für viele Türken so neu nicht sein dürfte, kam niemand in dem Sinn. Necla Kelek schob deren Abstinenz zwar auf eine angebliche Öffentlichkeitsscheu der Muslime. Doch sie verschwieg nicht, dass das Thema „häusliche Gewalt“ auch in türkischen Medien debattiert wird, und lobte sogar die anwesende Hürriyet.

Dafür verzichtete sie ganz auf jene radikalen Vorschläge, mit denen sie ihre Gegner gerne zur Weißglut treibt: Weder von einer Verschärfung des Aufenthaltsrechts noch von einem Verbot der Beschneidung bei Männern mochte sie reden. Und selbst auf mehrfache Nachfrage aus dem Publikum wollte sie sich nicht dazu äußern, ob nicht auch Ausgrenzung und Arbeitslosigkeit zu dem Phänomen geführt hätten, das als Rückzug in die Gemeinschaft beklagt wird, und wohin sich die Einwanderer denn integrieren sollen, wenn es keine Arbeit mehr gibt. Für sie ist klar: Allein die fehlende Erziehung zur Selbstständigkeit ist schuld an der Misere.

Der Moderator, Zeit-Redakteur Jörg Lau, sprach den Vornamen seiner Gesprächspartnerin übrigens konsequent falsch aus, so ähnlich wie Neyla. Wenn sich das irgendwann ändert, dann darf die Integration wohl als gelungen bezeichnet werden. DANIEL BAX