Unspezifisches Unwohlsein

Die Vogelgrippe beflügelt bislang vor allem hypochondrische Fantasien. Doch wer denkt an reale, zum Glück seltene Tier-Mensch-Krankheiten? Wie zum Beispiel das Wühlmausfieber

von THOMAS SPINNLER

Es war Thomas B. ein bisschen peinlich, offen darüber zu sprechen. Fragten Freunde am Telefon, was ihm überhaupt fehle, wich er lieber aus: „Ich habe Fieber und Schmerzen, mehr kann ich auch nicht sagen.“ Als er dann doch erzählte, woran er litt, trat ein, was er befürchtet hatte: Alle dachten, er mache Witze. „Wühlmausfieber“, das klang wie ein Spaß, entstanden in der Langeweile der polaren Nacht. Lang genug ist sie ja, denn Thomas B. lebt in Lappland. Dort, im hohen Norden Finnlands, geht im Winter die Sonne nicht auf.

Das Wühlmausfieber war aber keine Erfindung. Sondern eine ernsthafte Erkrankung, von der man nur wenig hört oder liest. Denn Zoonosen – Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden – treten selten epidemisch auf. Übertragen werden die Erreger in der Regel durch direkten Kontakt oder durch Kontakt zu den Fäkalien von Tieren. Besonders durch Zoonosen gefährdet sind dementsprechend Waldarbeiter, Land- und Forstwirte, die berufsbedingt viel in der Natur sind und mit Tieren zu tun haben. Außerhalb dieser Berufsgruppen treten Zoonosen zum Glück kaum auf.

Thomas B., der naturnah lebt, war leider eine dieser Ausnahmen. Traditionell wird in Lappland überwiegend mit Holz geheizt – und möglicherweise kam der folgenreiche Kontakt durch Mäuse zustande, die auf das Brennholz uriniert hatten. Da der Erreger durch die Luft transportiert wird, genügt häufig die Inhalation. Auch eine Ansteckung durch das Kehren von Kellern oder Speichern ist deshalb nicht ganz ungewöhnlich. Klaus Stark, Leiter des Fachgebiets Zoonosen und Lebensmittelinfektionen am Robert-Koch-Institut in Berlin, rät sicherheitshalber zum Gebrauch von Atemmasken bei solchen Tätigkeiten. Das Heimtückische des Virus sei nämlich, dass es lange Zeit getrocknet überleben kann.

Auch einen anderen Übertragungsweg hält Thomas B. für möglich: „Vielleicht habe ich mich sogar bei der Jagd nach der Maus angesteckt“, überlegt er. Einmal hatte er ein Exemplar in einer Schnappfalle gefangen. In seinem alten Holzhaus, einer ehemaligen Dorfschule, gab es ein Schädlingsproblem. Der Versuch, es zu kontrollieren, endete jedoch mit einem Kontrollverlust: Das Fieber begann ohne Vorankündigung.

Vermutlich hat sich Thomas B. mit dem Hantavirus angesteckt. Die Inkubationszeit des hauptsächlich von Wühl- und Rötelmäusen übertragenen Virus beträgt 5 bis 35 Tage. Bis auf das Fieber sind die übrigen Symptome unspezifisch, sie erinnern irgendwie an eine Grippe. Oft kommt es zu Müdigkeits- und Schwächegefühlen. „Die Krankheit kann tödlich verlaufen“, berichtet Stark. In den USA sei eine gefährlichere Variante des Virus verbreitet, mit einer Sterblichkeitsrate von etwa 10 Prozent.

Lebensbedrohlich ist auch die Ansteckung mit dem Fuchsbandwurm (Echikokkonose). Egal ob in Lappland oder im heimischen Naherholungsgebiet: Menschen suchen Entspannung in der Natur, sammeln Waldbeeren und Pilze oder kriechen durch das Unterholz. Ganz ungefährlich ist das nicht, wie schon das bekannteste Beispiel einer Zoonose zeigt, die durch Zeckenbisse ausgelöste Borreliose. Ein paar hygienische Grundregeln sollte der Naturverbundene also besser beachten: Vor dem Verzehr sind Waldfrüchte gewissenhaft zu säubern, damit etwaige Erreger beseitigt werden. Und bei der „tiefsten Gangart“ durchs Unterholz sollte am besten eine Gesichtsmaske getragen werden. Joggen oder spazieren gehen sei hingegen risikolos, erklärt Stark.

Ist es trotz Vorsichtsmaßnahmen zu einer Infektion mit dem Fuchsbandwurm gekommen, befallen die Erreger die Leber oder die Lunge und bilden dort Blasen. Darin sind die Wurmlarven enthalten. Atembeschwerden und Hustenanfälle sind symptomatisch. Der Fuchsbandwurm ist schwierig zu behandeln. Selbst bei intensiver medizinischer Betreuung gibt es Todesfälle. Häufig wird die Krankheit gar nicht als Fuchsbandwurm erkannt – keine angenehme Vorstellung. Allerdings gibt es in Europa weit mehr Füchse als an Fuchsbandwurm erkrankte Menschen: In den Jahren 1982 bis 2000 hat das Europäische Echinokokkoseregister 559 Erkrankungsfälle erfasst.

Die genaue Diagnose war auch für die Ärzte in der Ambulanz in Lappland nicht leicht. Sie rätselten lange, was Thomas B. eigentlich fehlte. Anders als bei einer Grippe litt er nicht an Verkühlung oder an einem Schnupfen. Eine eigenartige Erkrankung. Die Unsicherheit der Ärzte beflügelte B.s Fantasie und führte ihn tatsächlich in Richtung Zoonose: Was, wenn er die Vogelgrippe hätte? Immerhin waren die Zeitungen voll von Schreckensmeldungen über verendete Vögel und die potenzielle Übertragbarkeit auf Menschen. „Endlich bewahrheitet sich die hysterische Schreiberei“, dachte er, der selbst freier Autor ist. „Und ich bin der Erste, den es erwischt.“ Die Vogelgrippe hätte vielleicht seinen Namen getragen, ein sehr schwacher Trost angesichts des ungewissen Ausgangs der Krankheit. Die Ärzte winkten ab: Keine Vogelgrippe. Thomas B.s Fieber bewegte sich indessen regelmäßig in Wellen auf und ab. Wie die Erregungskurven des Publikums zum Thema H5N1.

Nach einigen Tagen wussten die Ärzte dann endlich doch Bescheid: Denn Thomas B. sah plötzlich nicht mehr deutlich. Die Bücher seines Bücherregals, seine ganze Umgebung konnte er nur noch mit der Brille seiner Frau erkennen. „Ich fühlte mich wie in Woody Allens Film ‚Harry außer sich‘ “, schildert Thomas B. den Krankheitsverlauf. Nur dass nicht alle ihn unscharf sahen, sondern er selbst alles verschwommen sah. Undeutliche Sicht – das konnte nur das „Wühlmausfieber“ sein, befanden die finnischen Ärzte. Wie sie ihm erzählten, tritt das Wühlmausfieber in Lappland relativ häufig auf: Jeder Vierte erkrankt im Laufe seines Lebens daran. Doch das einzige sichere Symptom ist die plötzliche Sehschwäche.

Auch in Deutschland kommt es in letzter Zeit häufiger zu derartigen Erkrankungen, erläutert Klaus Stark. So meldete das epidemiologische Bulletin des Robert-Koch-Instituts im Jahr 2002 genau 228 Fälle. „Im letzten Jahr sind es etwa 450 gewesen.“ Anlass zur Sorge bestehe allerdings nicht. Die Zunahme liegt wohl einfach am aktuell hohen Mäusebestand. Wegen der unspezifischen Symptome bilden die Zahlen die Realität aber sowieso nicht vollständig ab.

Nach einer leidvollen ersten Woche daheim wurde Thomas B. ins Krankenhaus eingeliefert, wo man katastrophale Nierenwerte feststellte. Während der zweiten Woche hatte er große Schmerzen. „Gegen das Hantavirus gibt es keine wirksame Behandlungsmethode“, erläutert Klaus Stark. Ein kausales Verhältnis zwischen Medikament und Heilung sei nicht bekannt. Vor allem der Kreislauf müsse stabilisiert und die Schmerzen müssen bekämpft werden. Der Mensch ist also auf seine Selbstheilungskräfte angewiesen. „Man muss auf Spontanheilung vertrauen“, erklärt Stark. Wegen des großen Flüssigkeitsverlusts bekam Thomas B. immerhin Infusionen.

Großer Flüssigkeitsverlust ist auch bei einer weiteren Zoonose, dem Q-Fieber (Query-Fieber), nicht auszuschließen. Paarhufer – also Schafe, Ziegen und Rinder – sind die Hauptüberträger des Q-Fiebers. Übertragen wird es, ähnlich wie das Hantavirus, durch Einatmen infektiösen Staubs oder als Tröpfcheninfektion über die Atemwege. Besonders gefährlich sind lammende Schafe oder kalbende Rinder, denn sind die Tiere erkrankt, so ist die Nachgeburt hochinfektiös. Beim Menschen führt die Erkrankung zu Fieber, Glieder- und Kopfschmerzen. Üblicherweise ist die Krankheit nach ein bis zwei Wochen ausgeheilt. Ist das Immunsystem allerdings bereits geschwächt, kann das Q-Fieber tödlich enden.

Kinder und Erwachsene sind besonders in Streichelzoos Schaf und Ziege sehr nahe. Man sollte deshalb nur den Streichelzoo seines Vertrauens aufsuchen und dort auf Hygiene achten. Die Frage, wie oft die Tiere auf Krankheiten untersucht und wie sie vor Parasitenbefall geschützt werden, sollten die Tierpfleger nicht übel nehmen.

Auch die Fälle von Q-Fieber nehmen zu. Ursache des Anstiegs könnte die zunehmende Besiedelung ländlicher Gegenden sein, meint Stark. Der ökologische Einsatz von Schafen zur Landschaftspflege sorgt zwar für eine gemütliche und naturnahe Retro-Optik – doch zwischen Natur und natürlichen Krankheiten besteht ein Zusammenhang, den man gerne verdrängt.

Der urbane Dandy, den solch krisenhafte Episoden wie Mäuse- oder Q-Fieber eher erstaunen, läuft allerdings kaum Gefahr, das Martyrium von Thomas B. am eigenen Leib zu erleiden. Die gemeine Hausmaus steht nicht im Ruf, das Virus zu übertragen. Und beachtet man ein paar Grundregeln, kann man sich unbesorgt in der Natur und in Gesellschaft von Ziege und Maus aufhalten. Das Potenzial für eine weltweite Epidemie sieht Stark ohnehin nicht. Von Mensch auf Mensch können Hantavirus und Q-Fieber nur in den allerseltensten Fällen übertragen werden, der Fuchsbandwurm überhaupt nicht.

Für Thomas B. war das „Wühlmausfieber“ nach zwei Wochen ausgestanden. Die Krankheit hörte einfach auf. Damit ist die Sache für ihn erledigt: Wer einmal das Virus hatte, muss sich nie mehr damit herumplagen, denn er ist in Zukunft gegen diese Variante immun. Obwohl Thomas B. heute gelassen zurückblickt, ist ihm nicht zum Lachen zumute. Die „Rache der Mäuse“ hat er gut überstanden – um sein erst einige Wochen altes Baby macht er sich aber verständlicherweise Sorgen. In Zukunft will er den Nagern mit Respekt und Vorsicht begegnen. Ein Freund der Maus war er noch nie, doch jetzt ist er erbarmungslos. Vor Katzen rettet er keine Maus mehr.

THOMAS SPINNLER, 35, ist Jurist und derzeit taz.mag-Praktikant