Die Häutung des Punkrock-Chamäleons

Die Punkband Oma Hans hat sich mit einem letzten Konzert selbst beerdigt. Die Fans heulen Rotz und Wasser. Aber die Oma gibt keine Zugabe. Denn der Reiz des Punk ist weg, wenn das Publikum ab der dritten Reihe alles mitsingt

Die Oma hat es erwischt. Am Wochenende war ihre Beerdigung in der Fabrik in Hamburg. Sie war nicht mal sechs Jahre alt, aber in jeder Punkrock-WG zwischen Elbe und Uni zu Hause. Jetzt ist sie weg, und sie kommt nicht wieder. Aus, Ende, vorbei. Die Punkband Oma Hans nagelte sich Freitagnacht mit ihrem letzten Auftritt auf dieser Erde erfolgreich in den eigenen Sarg ein. Es war einfach zum Weinen.

Gleich am Anfang sagte Oma, sie wolle jetzt mal richtig gut unter die Erde gebracht werden. Eher selten, auf einer Beerdigung, dass die im Sarg auch noch was sagt. Aber Oma Hans hatte immer die große Klappe. Und gestorben ist sie schon ein paar Mal – unter anderem Namen. Sänger und Texter Jens hat in den letzten Jahrzehnten bereits die Bands „Blumen am Arsch der Hölle“, „Angeschissen“ und „Dackelblut“ entschlafen lassen. Nicht, weil die keinen Erfolg gehabt hätten, sondern eher, weil sie zu bekannt wurden. Oder weil der Reiz des Punk weg ist, wenn das Publikum ab der dritten Reihe alles mitsingt. „Ich häute mich mein Leben lang und verschwende meine Zeit damit“, sang er bereits vor Jahren im Song „Der Pendler“ auf der zweiten Platte „Trapperfieber“. Und genau so war es nun: Das Hamburger Punkrock-Chamäleon hat sich mal wieder gehäutet.

Die Oma mochte Verehrer noch nie. Auch während des Begräbnisses wankten im Minutentakt die kondolierenden Fans auf die Bühne und betatschten ihre Schultern, Arme, Bauch. „Hau ab!“, zischte Jens neben das Mikro, aber eben nicht ganz daneben. Alle haben es gehört. Drei Songs später drückte er einen weiteren Kondolierenden zurück in den Zuschauerraum. „Und jetzt ab an das andere Ende der Halle!“, blökte er hinterher. Omas Alben gab es am Anfang nur auf bleischweren Vinyl-Platten. Die Texte ihrer Songs wirken im ersten Moment sperriger als eine schlecht übersetzte Camcorder-Gebrauchsanweisung: Überall fehlen Worte und kommen Zeilen aus dem Nichts. Aber dazwischen kommen die Sätze, die sich ins Gedächtnis schreiben, weil sie so gut sind: „Wenn man sich schon Illusionen macht, dann aber richtig! Es muss stimmen, auch wenn es nur für eine kurze Zeit ist“ („Django“ vom Album „Trapperfieber“).

Oma hat in ihren sechs Jahren Lieder gemacht über die Arche Noah, Tschernobyl, den Klima-Kollaps. Über Depression, Einsamkeit, Hochzeit. Und ständig laufen Tiere auf ihren Alben herum: Mammuts, Pelikane, Igel. Ihre Art, Punkrock zu spielen, hatte sich seit Jahrzehnten nicht gewaschen. Vielleicht waren beim Begräbnis auch deshalb die meisten eher über 30.

Mit jedem Song schmissen sie eine Schippe Erde drauf, zwischendurch ein paar Applaus-Rosen in die Grube. Sie tanzten Pogo auf dem offenen Grab, bis das Hemd am Körper klebte, na klar, und riefen Omas Worte noch mal in die Luft: „Ihr wisst genau – ihr Mörder! – Tote wehren sich nicht.“ („Ihr Mörder“ vom Album „Trapperfieber“).

Am Ende stand die ganze Oma am Bühnenrand: Jens, Andreas (Gitarre), Peta (Bass), Armin (Schlagzeug). Da war es vorbei mit Anti-Kommerz und „Hau ab“-Attitüde. Alle schrien, schütteten sich das Bier über die Hose haben geheult. Natürlich haben sie geheult! Rotz und Wasser, wie es jeder macht, wenn eine gute Freundin vor den eigenen Augen wegstirbt. Es gab keine Zugabe. Oma ist tot. Schreit nicht mehr – sie hört es nicht. MARKUS FLOHR