Gut, dass es Franzosen gibt
: KOMMENTAR VON DOROTHEA HAHN

Europaweit feiert die neoliberale Ideologie Siegeszüge. Bei Kritikern und Opfern hat sich eine schulterzuckende, resignative Haltung breit gemacht: Es gibt eh keine Alternative. Nur in Frankreich lehnen sich die Menschen auf.

Die Verteidiger des Liberalismus erklären, spezifisch französische Probleme hätten zu der aktuellen Protestbewegung und ihrer Stärke geführt. Und damit habe sie nicht Unrecht: In der Tat ist es eine besondere französische und dazu noch besonders autoritäre Sache, dass ein Regierungschef systematisch Beschäftigungspolitik betreibt, ohne mit den Sozialpartnern auch nur zu sprechen. Zudem ist es einer Demokratie unwürdig, dass ein Premier bereits zum wiederholten Mal ein unpopuläres Gesetz unter Umgehung der parlamentarischen Debatte und Abstimmung per Dekret in Kraft setzt.

Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Franzosen sich nicht nur gegen eine Politikmethode auflehnen, sondern auch gegen Politikinhalte. Und damit befinden sie sich im Widerspruch zu einer grenzübergreifenden europäischen Politik, die die Umverteilung von unten nach oben organisiert. Soziale Errungenschaften zerstört. Und das Arbeitsrecht aushöhlt.

Wieder einmal beweisen die Franzosen, dass ihre Fähigkeit zum Widerstand intakt geblieben ist. Während in Deutschland Regimewechsel durch verlorene Kriege oder einstürzende Mauern stattfinden, haben die Franzosen dergleichen in den unterschiedlichsten historischen Situationen immer wieder selbst herbeigeführt. In neuen kritischen Phasen erinnern sie sich an die alten Symbole und Stichworte – und an den Mut, mit dem ihre Vorgänger gegen historischen Fatalismus vorgegangen sind. Dazu gehören weit zurückliegende Ereignisse wie die Revolution von 1789 und die kurzlebige Pariser Kommune von 1871. Und neuere wie die wochenlangen Streiks von 1995, die die Verlängerung der Lebensarbeitszeit zu Fall brachten, oder das französische „Non“, das im vorigen Jahr die neoliberale EU-Verfassung kippte.

Schon allein für ihren Mut zum Alleingang verdienen die Franzosen Bewunderung. Wenn es sie nicht gäbe, müsste man sie einfach erfinden. Schade nur, dass sie bisher so allein sind.