Christliche Elitegefühle

Die bürgerlichen Klassen und ihr Nachwuchs: Günther Jauch engagiert sich für eine katholische Schule. Für den Rest, der sich dies nicht leisten kann, empfiehlt Ursula von der Leyen das gute Gebet

VON JAN FEDDERSEN

Er wirkt Sendung für Sendung leutselig, seine Aura deutet nicht an, dass dieser Mann zu den wohlhabendsten seiner Branche zählt, er scheint von bourgeoiser Distinktheit fern: Günther Jauch. Wohl nur seinetwegen fand sein jüngstes Engagement Erwähnung über die regionalen Umstände hinaus – in der Bild am Sonntag: Das Blatt vermeldete, der TV- und Radiomoderator unterstütze die Gründung einer katholischen (Grund-)Schule in seinem Wohnort Potsdam. Zu Protokoll gab Jauch, er habe gehört, LehrerInnen „an kirchlichen Schulen sind oft besonders motiviert“, in Tests schnitten sie besser ab als das pädagogische Personal säkularer, staatlicher Einrichtungen.

Alarm in Sachen Pisa

Womit man tatsächlich bei den sorgenden Tätigkeiten der bürgerlichen Klassen angekommen ist: Jauch weiß so gut wie alle anderen, bei denen Geld kaum mehr als eine dienende Rolle spielt, dass der eigene Nachwuchs riskant aufwüchse, ließe man ihn nach dem Wohnortprinzip einschulen und dort bis zum Abitur lernen. Der Alarm in Sachen Pisa ist eben auch dort angekommen: Und weshalb soll man dann nicht eine Schule gründen, für deren Güte man selbst sorgen kann – und sei es durch Zuschüsse?

Man hat auf diese Weise gleich mehrere Wünsche bedient: Der eigene Ehrgeiz hat in dem Lehrpersonal stets eine gute Adresse, also einen Ort, an dem man seine Kritik, wenn’s man mit dem Einhalten der Curricula mal nicht so hinhaut, präzise anbringen kann. Obendrein läuft man nicht Gefahr, mit der Kundschaft des „Unterschichtenfernsehens“ behelligt zu werden, förderungsbedürftigen Kindern aus migrantischen Umständen beispielsweise. Außerdem entronnen ist man dem Risiko, dass eines Tages doch die staatlichen Lehranstalten auf die frühe Sortierung der SchülerInnen (ins Kröpfchen, also Haupt- und Realschule die Armen, ins Töpfchen, ins Gymnasium, die anderen) verzichten. Ein Zweig der UNO-Menschenrechtskommission hat dies jüngst wieder gefordert: Die deutsche Dreigliedrigkeit aufzuheben – da machen zwar die unionsgeführten Länder nicht mit, aber man weiß eben nie.

Neu ist diese Tendenz nicht: Früher schickte man den Nachwuchs aufs Internat oder konnte ihn sicher wissen – der gute bürgerliche Wohnort verhinderte, dass „Schmuddelkinder“ ins eigene, feine Revier eindringen. Das geht in den meisten Bundesländern nicht mehr: Aber Privatschulen dürfen aussuchen, sonst wären es ja keine.

Und das heißt unterm Strich: Deutschland kann noch lange die Krise der Bildung diskutieren – die bürgerlichen Klassen wissen sich in eigener Sache gut selbst zu helfen. Das ist zwar nicht besonders karitativ, ja nicht einmal verfassungspatriotisch, sonst wäre man interessiert an gleichen Bildungschancen für alle Kinder, aber wen schert das schon. Dass das von Günther Jauch unterstützte Projekt christlich fundiert sein soll, erklärt noch mehr: Es ist damit zum einen frei von multireligiösen Anmutungen und gibt zum anderen den Blick frei auf die seelische Pein, die die bürgerlichen Klassen in diesen Zeiten fühlen. Die nämlich, nicht mehr den Ton anzugeben, weder kulturell noch im Urteil darüber, was einer Gesellschaft geziemt und was nicht.

Egalitär, so der amerikanische Philosoph Richard Rorty in seinem neuen Buch „Die Zukunft der Religion“ (Suhrkamp) lakonisch wie zufrieden, das Diverse stiftend, wie demokratische Gesellschaften es sind, und zulassen müssen, sucht sich jedeR seine oder ihre private Obsession: Die einen bevorzugen im Privaten Gott, Allah oder Jahwe, die anderen Madonna, Literatur, die Handwerkerei, Musik überhaupt oder Fußball.

Beten mit Ursula

Das ist kummervoll für Christen, die noch bis ins Jüngste den kulturellen Kanon stifteten, aber nicht zu ändern. Auch nicht durch Familienministerin Ursula von der Leyen, die der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ausbreitete, sie finde, dass Kindern das Gute & Wahre & Schöne durch das Beten nahe zu bringen sei, und zwar klassenübergreifend.

Aber hätte die Politikerin echte Chancen, dies auch jenseits ihrer eigenen Familie durchzusetzen? Nein, natürlich nicht. Das Mittelalter ist vorbei, „no chance“ (Rorty). Ohne Zwang geht gar nix – und den kann hierzulande keine Konfession mehr ausüben. Aber der Ton der Ursula von der Leyen bereitet Sorgen: Glaubt sie ernsthaft, irgendein Kind, wie ihr Stichwortgeber Frank Schirrmacher von der FAZ in seinem Buch „Minimum“ (Blessing Verlag) es erfiebert, käme mehr auf die Welt, würde ein inbrünstiges Falten der Hände dem Geschlechtsakt vorangestellt?

Man kann es kaum glauben.