deutsche, tests etc.
: Der Kanon der Einbürgerung

Deutsche Dichter und Denker plus documenta. Das ist der Hintergrund, auf dem die Fragen des heiß diskutierten Einwanderungstests aus Nordrhein-Westfalen basieren, die sich mit der deutschen Kultur beschäftigen. Drei deutsche Philosophen, ein deutscher Literaturnobelpreisträger, Beethoven, Goethe, Schiller, Caspar David Friedrich sowie die Kasseler Kunstausstellung: ein hübscher, kleiner Kanon, durch die Hintertür eingeführt. Neben der prinzipiellen Frage, ob 100-Euro-Wissen bei Günther Jauch dazu taugt, etwas über die Integrationswilligkeit möglicher Neustaatsbürger auszusagen, stellt sich auch die Frage nach den Kriterien. Es kann ja nicht nur darum gegangen sein, sicherzustellen, dass alle Deutschen Namen aus der deutschen Kulturgeschichte fallen lassen können, mit denen man im Wettbewerb mit anderen Nationen anzugeben vermag.

Sollte das Kriterium gewesen sein, einmal abzuklopfen, ob die Antragsteller sich mit den wirkmächtigen Traditionen deutscher Kultur beschäftigt haben, fehlt Entscheidendes. Caspar David Friedrich allein repräsentiert jedenfalls nur schlecht die Traditionen, in denen sich Deutschland in einen Sonderweg aus Überlegenheitsdenken und Innigkeitsgefühligkeit hineinfantasierte. Klar müssten auch eingeborene Deutsche nachsitzen, bevor sie beim deutsche Lied oder Fichtes „Reden an die deutsche Nation“ diskursfähig sind. Aber wenn schon, denn schon. Und wenn etwas nützlich ist, aus der Kulturgeschichte gelernt zu haben, dann, dass Kultur dazu gebraucht werden kann, eine angebliche deutsche Identität bis ins Wahnhafte zu übersteigern.

Sollte dagegen das Kriterium gewesen sein, eine Ahnung von der gegenwärtigen deutschen Kulturnation zu testen, dann sind die Fragen auch falsch angelegt – viel zu deutsch und viel zu hochkulturell. Gut zu wissen für Integrationswillige wäre doch gerade, dass nicht alle Deutschen ihren „Faust“ in der Tasche haben und dass Kultur in Deutschland derzeit sowieso eher international angelegt ist (Mickymaus, Hollywood, Britpopbands). Mit Fragen in diese Richtung ließen sich auch viel besser Fundamentalisten aller Couleur aussieben!

Kultur ist eben ein weites Feld. Das ist vielleicht das Einzige, was man wirklich wissen müsste.

DIRK KNIPPHALS