Nachhilfe für Nationalisten

Während 1.700 türkische Nationalisten demonstrieren, führen die Gegendemonstranten zu armenischen Orten in Berlin. Der wichtigste Zeuge des Völkermordes lebte in Charlottenburg

von CIGDEM AKYOL

Die rund 1.700 türkischen Nationalisten schafften es bis in die „Tagesschau“. Kein Wort aber von der Gegenveranstaltung. Dabei hatte die „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ ein beeindruckendes Programm auf die Beine gestellt. Während die Nationalisten von der Urania nach Charlottenburg zogen, zeigten die Initiatoren interessierten BerlinerInnen bei einer Stadtrundfahrt Orte armenischer Geschichte in der Hauptstadt.

Damit reagierten sie auf die Veranstaltung, zu der der Bundesverband der Atatürk-Gedenkvereine gerufen hatte. Die Nationalisten, die größtenteils anreisten, demonstrierten gegen den Vorwurf des Völkermords an den Armeniern im Osmanischen Reich. Das Oberverwaltungsgericht hatte die Kundgebung erlaubt. Allerdings unter der strikten Auflage, dass weder auf Transparenten noch in Ansprachen der Genozid an den Armeniern als Lüge bezeichnet werde.

„Diese Demonstration sollte eine Provokation darstellen,“ sagte Tessa Hofmann, die die Arbeitsgruppe „Gegen Genozid, für Völkerverständigung“ leitet. Die Genozidforscherin setzt sich seit dreißig Jahren für die Armenier ein. „Mord darf nicht mit der Heimatverteidigung legitimiert werden.“ Genau dieser Argumentation aber bedienten sich die Demonstranten – Parolen wie „Wir haben nur unser Vaterland verteidigt und keinen Völkermord begangen“ waren zu hören.

Von 1915 bis 1923 wurden im Osmanischen Reich zwischen 1 und 1,5 Millionen Armenier ermordet. Die türkische Regierung weigert sich bis heute, sich mit der historischen Realität auseinander zu setzen, und weist die Bezeichnung Völkermord zurück.

Der Bus der Gegendemonstranten um Tessa Hofmann hielt an mehreren Stellen in der Stadt. Ein Zwischenstopp wurde zum Beispiel am Luisenplatz eingelegt. Hier, in der Behaimstraße 22, wurde 1923 die erste armenische Gemeinde Deutschlands gegründet. Eine weitere Station war ein Haus am Kaiserdamm 16. Hier erinnert eine Gedenktafel an einen der wichtigsten Zeugen des türkischen Massakers – an Armin Theophil Wegner. Der Jurist lebte von 1925 bis 1933 hier, er besuchte im Ersten Weltkrieg die Deportationslager der Türken für die Armenier. Vor allem aber dokumentierte Wegner den Völkermord mit seiner Kamera. In Armenien zählt er zu den „Gerechten der Völker“ und wird für seine Solidarität verehrt.

Wegners Bilder sind wichtige Beweise für den Verlauf der systematischen Vernichtung der Armenier. „Die Leugnung des Völkermordes ist eine Staatsdoktrin in der Türkei“, sagt Hofmann. Sie bezeichnet die konsequente Geschichtsverfälschung als „ein erstaunliches Phänomen“ – und führt dies auf das türkische Bildungssystem zurück. Denn in türkischen Schulbüchern wird der Völkermord geleugnet. „Damit werden falsche Geschichtsbilder transportiert.“

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