Umziehen schwer gemacht

Aktionsbündnis startet Kampagne gegen Zwangsumzüge wegen Hartz IV. Scharfe Kritik an Arbeitsagenturen

„Stoppt Zwangsumzüge!“ – das ist die Kernforderung eines neuen bundesweiten Aktionsbündnisses von Erwerbslosen- und Sozialprotestinitiativen. Gestern stellten die Initiatoren ihre Kampagne „Wohnen – Würde – Widerstand: Gegen Zwangsumzüge nach Hartz IV“ vor.

„Wir wollen Zwangsumzüge zu einem bundespolitischen Thema machen“, sagte Peter Grottian, Politikprofessor an der Freien Universität und Leiter der Berliner „Kampagne gegen Zwangsumzüge“. Pro Empfänger von Arbeitslosengeld-II 50 Euro mehr Wohnungsgeld zu zahlen, würde den Staat 180 Millionen Euro kosten, rechnete Grottian vor. „Zum Vergleich: Die Arbeitsagenturen haben gerade für 270 Millionen Euro neue Mitarbeiter angestellt, die dazu da sind, die Kontrolleure der Kontrolleure der Arbeitslosengeldempfänger zu kontrollieren.“

Unklar sei die Zahl der Betroffenen, die ihre Nebenkosten drastisch senken müssten oder in billigere Wohnungen umziehen müssten. „Die kommunalen Arbeitsagenturen geben bis auf wenige Ausnahmen keine Auskunft darüber, wie viele Haushalte in ihrem Bereich von einem Zwangsumzug bedroht sind oder schon betroffen waren“, so Sigmar Gude vom Topos Stadtforschungsinstitut Berlin.

In Berlin haben bisher noch keine Zwangsumzüge stattgefunden. „Allein in Neukölln sind aber schon 169 Überprüfungsverfahren anhängig“, informierte Politikberaterin Anne Allex. „Laut dem Bauausschuss der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg, wo 38.000 Arbeitslosengeld-II-Empfänger leben, wird damit gerechnet, dass bei 10 bis 15 Prozent von ihnen ein Überprüfungsverfahren ihrer Miet- und Heizkosten angesetzt wird.“ 200 Aufforderungen zur Senkung der Unterkunftskosten seien bereits ergangen.

Höchstens 360 Euro Bruttowarmmiete darf ein Arbeitslosengeld-II-Empfänger in Berlin für seine Unterkunft ausgeben. Wird dieser Wert überschritten, muss der Betroffene die Differenz entweder selbst tragen, oder er muss sich eine billigere Wohnung suchen. „In Berlin belegen steigende Daten der Speditionsunternehmen, dass viele potenziell Betroffene sich aus Angst vor einem Zwangsumzug freiwillig eine billigere Wohnung suchen, bevor sie einen Überprüfungsbescheid bekommen haben“, sagt Thomas Rudek von der Berliner Mietergemeinschaft. Die meisten von ihnen seien von ihrem Jobcenter unzureichend informiert worden über Härtefallbedingungen und die Möglichkeit, durch Annahme eines 1-Euro-Jobs in einer „zu teuren“ Wohnung bleiben zu können.

Notruftelefon eingerichtet

„Diese Angstmache durch unvollständige Informationen macht die Arbeitslosen zu Vertriebenen“, erklärte Grottian. Das Bündnis hat ein Notruftelefon für Arbeitslose eingerichtet. „Dort informieren wir die Betroffenen über ihre Rechte und strategischen Möglichkeiten“, so Uschi Volz-Walk vom Sozialforum Berlin. Besonders schwere Fälle würden an spezielle Beratungsstellen weitergeleitet. „Außerdem versprechen wir, dass wir Zwangsräumungen aktiv verhindern werden. Wir werden uns einfach mit mehreren 100 Leuten vor die Haustür stellen und den Umzugsunternehmer nicht hereinlassen“, so Volz-Walk weiter. Auf der Internetseite des Bündnisses würden Termine und Orte von bekannten Zwangsräumungen veröffentlicht, um möglichst viele Gegendemonstranten zu mobilisieren.

Radio- und Kinospots sollen über die Kampagne informieren. „Am wichtigsten sind aber wahrscheinlich unsere Flugblätter, die wir in den Jobcentern auslegen werden“, schätzt Grottian. Der Erfolg der Kampagne hänge in erster Linie davon ab, wie die Betroffenen mitmachen.

SOPHIE DIESSELHORST

Kostenloses Info-Telefon: (08 00) 2 72 72 78; www.zwangsumzuege.de