„Ich bin kein Antiamerikaner“

Jean-Noël Jeanneney, Leiter der französischen Nationalbibliothek, streitet für eine europäische digitale Bibliothek. Sein Gegner heißt Google. Geht es ihm wirklich nur um digitalisierte Literatur? Oder kämpft er für das gute alte Europa?

INTERVIEW MARTIN REICHERT

taz: Herr Jeanneney, Ihr Pamphlet trägt zwar den Titel „Googles Herausforderung“. Kann es sein, dass es sich dabei vielmehr um ein europäisches Manifest gegen US-amerikanische Dominanz handelt?

Jeanneney: Nein. Ich habe einfach das Gefühl, dass wir den Markt-Purismus bekämpfen müssen, und damit auch die Dominanz einer Firma: Google. Wenn man ein solches Monopol akzeptiert, wird das extreme Auswirkungen auf unsere europäische Kultur haben.

Welche denn?

Zum Beispiel werden jüngere Generationen völlig einseitig beeinflusst werden. Wer etwas über die Französische Revolution erfahren möchte, wird hauptsächlich auf angelsächsische Publikationen zu diesem Thema stoßen.

Aber mittlerweile sagen Sie doch selbst, dass man mit Google wird kooperieren müssen?

Ich habe von Anfang an gesagt, dass man über eine Zusammenarbeit nachdenken müsste. Sie sind nicht unsere Feinde.

Ihr Buch erweckt einen anderen Eindruck.

Das Wort Feind taucht darin nicht auf, ich bin ein großer Freund Amerikas und der Demokratie.

Worum geht es also wirklich?

Wir brauchen eine eigene, europäische digitale Bibliothek. Und erst wenn diese tatsächlich existiert, kann man über eine Zusammenarbeit mit den Amerikanern nachdenken, eine auf Augenhöhe.

Warum entfalten Sie dann einen solchen kulturphilosophischen Furor?

Es gab da einige Stimmen in den USA, die behauptet haben: Ah, das ist dieser Franzose, dieser Antiamerikaner. Ich habe dieses Buch nie als französische Attacke gegen die USA gedacht. Es ist jedoch richtig, dass ich es als Europäer verfasst habe, wenn Sie so wollen, ist es eine europäische Attacke gegen Amerika.

Old Europe bringt sich in Stellung?

Nun, wenn Europa-Kritik bedeutet, den amerikanischen Anspruch auf alleinigen Einfluss geltend zu machen, dann bitte schön.

Wenn Sie so weitermachen, isst man in den USA nur noch Freedom-Fries.

Verunglimpfung der französischen Kultur? Das können Sie vergessen, es hat nichts zu sagen. Es geht nicht nur um Europa und die USA. Mein Buch wurde ins Arabische übersetzt und auch ins Chinesische! Es berührt ganz einfach die Gedanken und Ängste der Leser in diesen Ländern. Aber bitte: Ich bin kein Antiamerikaner!

Nun, Sie zitieren in Ihrem Buch Michel Chevalier: „Lasst uns die Vereinigten Staaten bekämpfen, aber nicht indem wir vor der Welt ihre Sünden anprangern, sondern indem wir uns ihre Tugenden und Fähigkeiten aneignen.“ Rein technisch könnte das auch von Ussama Bin Laden stammen …

Wie bitte?

Den Feind mit den eigenen Mitteln schlagen, mit Hilfe des Internets zum Beispiel.

Also wissen Sie, klar, ich telefoniere natürlich regelmäßig mit Bin Laden … Respekt, Sie haben erkannt, dass wir enge Freunde sind.

War nur ein Scherz.

Ich weiß, dass dies ein Scherz war. Ich bin Europäer, nur Amerikaner müssen jedes Mal hinterher erklären, dass sie einen Witz gemacht haben. Aber mal im Ernst: Als ich von dem Google-Plan einer digitalen Bibliothek hörte, habe ich angefangen, Politiker von dem Vorhaben zu überzeugen, eine europäische digitale Bibliothek zu gründen. Sowohl Gerhard Schröder als auch Jacques Chirac haben sich auf diese Idee eingelassen. Erst vor drei Wochen war ich in Brüssel und kann Ihnen sagen: Das Projekt geht voran.

In Deutschland haben wir mittlerweile eine neue Regierung.

Ach, wirklich?

Im Ernst: Denken Sie, dass Angela Merkel das Projekt einer europäischen Bibliothek im gleichen Maß unterstützen wird wie Gerhard Schröder?

Es gab gerade ein Treffen zwischen unseren beiden Ministern für Kultur, ich denke, das wird funktionieren. Und ist es nicht so, dass auch in der neuen Regierung ein paar Sozialdemokraten sind?

Ein paar, ja, das ist richtig.

Ich habe also keinen Zweifel daran, dass es in der deutschen Regierung ein Interesse an diesem Projekt gibt.

Allerdings legt Angela Merkel Wert darauf, dass die Deutschen jenseits des Atlantiks wieder lieb gehabt werden.

Ich glaube das nicht, diese Ängste werden schon seit vierzig Jahren artikuliert, genauso lange, wie unsere Länder hervorragend zusammenarbeiten.

Die Deutschen werden also an Ihrer Seite stehen im Kampf gegen die US-amerikanische Dominanz?

Wenn es um Diplomatie geht, braucht man klare Ziele, über die man sich im Vorfeld verständigen muss, darum geht es.

Sie hoffen auf sozialdemokratische Unterstützung, dabei ist Ihr Ansatz ziemlich elitär. Google will das Wissen unter die Menschen bringen, Sie wollen antiquarisch wertvolle Schätze der Hochkultur konservieren.

Ich glaube nicht, dass es eine Elite gibt, die auf den Büchern sitzt.

Warum kritisieren Sie dann die amerikanische „Massenkultur“?

Auch ich mag einige US-amerikanische Serien. Aber ich glaube auch, dass die Menschen qualitativ hochwertige Produkte annehmen, wenn man sie ihnen nur anbietet. Es geht um das Angebot!

Sie trauen den Menschen doch nicht einmal zu, zwischen Inhalt und Werbung unterscheiden zu können.

Denken Sie zum Beispiel an die Menschen, die Wissen vermitteln, seien es Lehrer oder Journalisten: die nutzen Google doch jetzt schon sehr stark. Ich würde mir wünschen, dass sie auf ein Medium zurückgreifen können, das die Suchergebnisse nicht nach Popularität, sondern nach Qualität sortiert.

Was haben Sie gegen Popularität – Ihr Buch ist ja auch ein Bestseller?

Das stimmt. Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich wie ein amerikanischer Filmstar, der in einem Hotel sitzt und einem Journalisten nach dem anderen Rede und Antwort steht. Eine extreme Erfahrung.