synagoge, gas etc.
: Hopp, Künstler, mach was los!

Der spanische Künstler Santiago Sierra hat seine umstrittene Kunstaktion in der ehemaligen Synagoge der Stadt Pulheim bei Köln endgültig abgebrochen. Dabei hatte er die Abgase von sechs Autos in das ehemalige jüdische Gebetshaus geleitet, das anschließend nur noch mit Gasmaske und in Begleitung eines Feuerwehrmannes betreten werden konnte. Es hagelte Proteste. „Niveaulos“, geißelte Charlotte Knobloch, die Vizepräsidentin des jüdischen Zentralrats, die Aktion. Henryk M. Broder beobachtete eine „gigantische Geschmacklosigkeit“. Das sind, im Zusammenhang mit den Performances und Aktionen des Künstlers, keine neuen Begriffe. Stets führen sie zu der Frage, ob er nicht zu weit gehe. Gleichgültig, ob er den Malochern dieser Welt den Mindestlohn gab, damit sie vor dem Vernissagenpublikum drei Kreideblöcke zehn Meter weit fortbewegten oder acht Stunden lang eine herausgebrochene Wand im Winkel von 60 Grad hielten: Immer schon zeichnete eine peinlich plakative Überdeutlichkeit seine Aktionen aus und sicherte damit begehrte Aufmerksamkeit.

Dafür steht der Name Santiago Sierra bei den Veranstaltern. Der Künstler hätte es also besser wissen können. Natürlich wurde er auch in Pulheim nach dem Prinzip „Hopp, Künstler, spring! Mach was los“ engagiert. Aber leider hat er sich über die besonderen Bedingungen an diesem Ort keine tieferen Gedanken gemacht. Darüber, wie weit er hier hupfen darf – oder darüber, ob er hier überhaupt hupfen soll? Natürlich sollte seine ortsspezifische Arbeit aufmerksamkeitsheischend sein, aber zugleich doch dezent. Unglücklicherweise war sie dann nur Ersteres. Sehr dezent gab sich Sierra eine Woche später in Frankfurt, wo er ein Schwesterprojekt zur Aktion in Pulheim durchführte. Die Kunstaktion zur deutschen Schuldfrage, „The Punished“, fand an neun innerstädtischen Orten statt, wo der 39-Jährige ältere Menschen vor Gebäude stellte, und zwar mit dem Gesicht zur Wand. Während der Zeit dieser Bußübung durften die Protagonisten kein Wort sprechen. Die Kuratorin zeigte sich zufrieden, war doch die Frankfurter Aktion „subtiler und stiller“ als die Pulheimer. Juliane von Herz hatte ja auch im Auftrag der „fine art fair frankfurt“ eingeladen. BRIGITTE WERNEBURG