Der talentierte Mister Nelson

Überraschung! Prince, 47, überrascht endlich wieder mit einem zeitgemäßen Album: „3121“ dockt damit an eine musikalische Gegenwart an, der er in den Achtzigerjahren höchstpersönlich erst den Weg bereitet hat

Bis weit in die Neunzigerjahre hinein weigerte sich Prince, HipHop überhaupt alsMusik anzuerkennen

VON TOBIAS RAPP

Er hat sich gut gehalten – man sieht es Prince nicht an, dass er auf die 50 zugeht, wenn man ihm zuschaut, wie er im Videoclip zu seiner aktuellen Single „Black Sweat“ an seinem Seidenanzug zupft und mit seiner höher gelegten Prince-Stimme Unnachahmlichkeiten singmurmelt. „I don’t want to take my clothes off / But I do. /I don’t want to turn nobody on/ Unless it‘s you.“ Das Video ist in Schwarz-Weiß gefilmt und zeigt nur Prince und eine Tänzerin in einem sehr minimalistischen Setting, das an den Clip von „Kiss“ erinnert. Lässt man es eine Weile laufen, ist man sich irgendwann sicher, gleich müssten die Ying Yang Twins aus der Kulisse springen und anfangen zu rappen. Denn dieser Beat schiebt wie kein anderer, der dieses Jahr bisher das Licht der Charts erblickt hat. Prince hat sich nicht nur gut gehalten, er spielt auch wieder auf der Höhe der Zeit.

Das hört man gern. Vor allem weil ja nicht nur der innerpopmusikalische Neudurcharbeitungszyklus seit einiger Zeit schon zu allgemeinem Sich-Abarbeiten an den Soundentwürfen der Achtziger geführt hat und man allerorten Anleihen beim Naked Funk jener Zeit hören kann. Nein, nach zwanzig Jahren ist die Popmusik nicht nur wieder bei Prince angekommen, auch dieser hat nach langer Zeit des freiwilligen und unfreiwilligen Musizierens im Windschatten des popmusikalischen Großgeschehens wieder einen Sound gefunden, der ihn anschlussfähig für den Pop der Gegenwart macht. Schon „Musicology“ von 2004 deutete das an, auf dem neuen Album „3121“ (Universal) kommt diese Tendenz voll zum Tragen.

Tatsächlich ist es vor allem dieser Wille zur Zeitgenossenschaft, der „3121“, benannt nach der Hausnummer seines Anwesens in Beverly Hills, zu einer so angenehmen Überraschung macht. Da gibt es ja nicht nur die Übersingle „Black Sweat“. „Love“ oder „Lolita“ hören sich mit ihren dreckigen Synthie-Fanfaren an wie vom Crunkproduzenten Lil Jon eingespielt, während das Titelstück „3121“ klingt, als sei es aus den D’Angelo-Sessions entwendet, in denen dieser große Prince-Epigon seit Jahren an seinem neuen Album werkelt.

Angesichts des Brimboriums um „3121“ (exklusive Prelistening Sessions, für die ganz Glücklichen noch exklusivere Flüge zu Privatauftritten) liegt es nahe, in Euphorie auszubrechen: das beste Prince-Album seit 20 Jahren! Krise überwunden! Das ist natürlich Quatsch. Prince wird die Popmusik nicht mehr revolutionieren. Dass er aber die Anregungen von Revolutionären wie den Neptunes nicht nur wahrnimmt, sondern ihre an seinem Sound der Achtziger geschulten Entwürfe mit seinen Mitteln aufnimmt und zurückspielt – das sieht der Herr gern.

Nun spricht aus der Freude über das neue Prince-Album aber noch etwas anderes, das über die Musik hinausweist. In die Aufregung ist eine bestimmte Sehnsucht eingekapselt, einer der interessantesten Superstars der vergangenen dreißig Jahre möge doch endlich wieder seinen Thron reklamieren. Ein Superstar, der die komplexen „racial and sexual politics“ der Gegenwart an der Spitze der Charts zu verhandeln wusste. Der sich nicht nur mit verwirrender Souveränität als jenseits von Schwarz und Weiß inszenierte und sich Frauen als Doppelgänger suchte, sondern der diese Identitätsspiele in musikalisch so avancierte wie mainstreamwirksame Großkunstwerke umsetzte.

Die gerade erschienene Biografie „Besessen – das turbulente Leben von Prince“ des amerikanischen Journalisten Alex Hahn erzählt diese Geschichte, genau wie sie dieser Faszination ins Messer läuft. Für Hahn folgt Prince’ Karriere einem einfachen Bogen: Da gibt es den Aufstieg, die Zeit bis 1988, als das epochale Album „Sign O’The Times“ erscheint.

Und es gibt den Abstieg, das ist alles, was danach kommt. Es gibt den begabten Roger „Prince“ Nelson, der ein schwieriges Verhältnis zu seinem Vater hat, einem talentierten Jazzmusiker, der die Familie aber sitzen lässt, als Prince zehn Jahre alt ist. Der sich als Teenager im Studio einschließt, um eigentlich nie wieder aufzutauchen, es sei denn, um auf Tour zu gehen oder irgendeine dieser zahllosen, unglaublich attraktiven Frauen aufzugabeln, die zu hunderten durch seine Privatgemächer geschleust werden. Manche bleiben für eine Platte, die meisten für eine Nacht. Nun mag es zum einen so sein, dass Prince diese erstaunliche Karriere tatsächlich nur durch das (selbst für einen Musiker und Produzenten seiner Größe) ungewöhnlich ausgeprägte Kontrollfreaktum in die Wege leiten konnte. Und dass sie auch daran zugrunde geht – in den späten Achtzigern wenden sich Freunde und Mitmusiker ab, Prince verliert das Gefühl für die Realität, was dann im jahrelangen Streit mit seiner Plattenfirma kulminiert, von der er sich schließlich löst, um mit einem unaussprechlichen Namen in der selbstbestimmten Unwichtigkeit zu verschwinden.

Doch ein Leben erklärt eben nicht alles. Denn nach der Veröffentlichung von „Sign O’The Times“ geht es nicht nur bergab, weil sich Prince’ Ego gegen sich selbst richtet. Die Musik als Ganzes ändert sich. Das letzte große Starsystem bricht zusammen, nachdem es mit Madonna, Michael Jackson und Prince seine letzten Zentralgestirne hervorgebracht hat. Die Zeit, in der Glamour noch etwas zu bedeuten vermochte, geht zu Ende.

Außerdem kommen House und HipHop auf, zwei Musikgenres, die nicht nur die schwarze Popmusik bis zum heutigen Tage beherrschen und die eben nicht nur genau zu dem Zeitpunkt unterschiedlich ausgeprägte Durchbrüche erleben, als „Sign O’The Times“ erscheint. Sowohl House als auch HipHop waren der Prince-Ästhetik tief verpflichtet, schrieben unterschiedliche ihrer Stränge fort. Nicht nur in den sexgetriebenen Lyrics des Chicago House, in seiner queeren Ästhetik. Die Art und Weise, wie Produzenten in Detroit und Chicago Synthesizer und Drummachines benutzten, ist ohne Prince nicht denkbar. Von den Synthesizersätzen des frühen Prince zu den Maschinenstrings von Derrick May ist es nur ein kleiner Schritt. Wenn May später den schönen Merksatz prägen sollte, Techno höre sich an, als habe man George Clinton und Kraftwerk in einen Fahrstuhl gesperrt, so lässt sich dies auch auf Prince übertragen: Der klingt zu seinen Glanzzeiten, als wären Devo James Brown und den JB’s vor den Tourbus gelaufen. Dass Prince seine größte Fangemeinde traditionellerweise in Detroit hatte, passt da ins Bild.

Und HipHop? Es gerät leicht in Vergessenheit, aber der „Parental Advisory“-Sticker wurde nicht erfunden, um die amerikanische Jugend vor Gangstarap zu warnen: „Purple Rain“ war die Platte, wegen der amerikanische Elternverbände eine Senatsanhörung über die unamerikanischen Umtriebe sexbesessener Rockstars durchsetzen konnten. Dass Prince im Vergleich mit NWA oder Ice-T rasch harmlos wirkte, dürfte zu seinem Abstieg genauso beigetragen haben wie der Umstand, dass er den gesampelten Beats des HipHop an Durchschlagskraft wenig entgegenzusetzen hatte. Bis weit in die Neunziger hinein weigerte er sich, HipHop überhaupt für Musik zu halten.

Solcherlei Gedanken sucht man bei Hahn vergebens, dazu muss man zu einem kleinen Bändchen greifen, das vor anderthalb Jahren in der amerikanischen Buchreihe „33 1/3“ erschienen ist, einer Serie, die den wichtigsten Alben der Musikgeschichte jeweils einen buchlangen Essay widmet: Dem ehemaligen Musikredakteur der Seattle Weekly, Michelangelo Matos, gebührt das Verdienst, „Sign O’The Times“ als das letzte große R&B-Album zu beschreiben, das frei von HipHop-Einflüssen entstehen konnte, ohne sich auf eine Retro-Ästhetik verlassen zu müssen, und somit Aufstieg und Fall von Prince in eine einleuchtende Formel brachte.

So gesehen ist „3121“ ein bemerkenswertes Album. Zeugt es doch davon, dass Prince nach einer langen und komplizierten Flucht vor musikalischen Entwicklungen, die er selbst mit losgetreten hatte und nie anerkennen konnte, sich wieder in ein produktives Verhältnis zur musikalischen Gegenwart setzen kann.

Bei aller Freude über den großen Groove sollte man aber nicht übersehen, dass Prince eines dafür allerdings aufgegeben hat: Seine Fähigkeit zum wunderbarem Songwriting hat er in die neuen Verhältnisse nicht eingespannt. Auf fast jedem Prince-Album, auch in den verdaddelten Neunzigern, gab es mindestens ein Stück, das durch ungewohnte Perspektiven zu überraschen wusste, das Prince brillantes Songwriting mit überraschenden Perspektiven verband, das „If I Was Your Girlfriend“-Stück, wenn man so will. Auf „3121“ gibt es das nicht. Es ist ein Dance-Album. Immerhin.

Alex Hahn: „Besessen – das turbulente Leben von Prince“. Hannibal Verlag, 520 S., 24,90 €ĽMichelangelo Matos: „Sign O’The Times“. Continuum International, 128 S., 9,95 $