„Das war Betrug“

Fadumo Korn, 42, überlebte als Siebenjährige ihre Genitalbeschneidung nur knapp. In ihrem Buch „Geboren im Großen Regen“ (Rowohlt, 256 Seiten, 8,90 Euro) beschreibt sie ihr Leben zwischen Somalia und Deutschland. Sie lebt als Dolmetscherin in München und ist zweite Vorsitzende von Forward Germany e.V.

taz: Frau Korn, Mütter in Somalia lassen ihre Töchter beschneiden, damit sie „rein“ werden. Gelten die weiblichen Geschlechtsorgane nur beschnitten als ästhetisch akzeptabel?

Fadumo Korn: Genitalfalten gelten als hässlich. Werden die großen Schamlippen aber miteinander vernäht, wirkt der Unterleib sauber und glatt. Bei uns heißt es, das erste Kind stirbt, wenn das Baby bei der Geburt Kontakt mit der Klitoris seiner Mutter hat. Männer fürchten bei Berührung um ihre Potenz. Als Kind dachte ich, wenn die Klitoris nicht abgeschnitten wird, wächst sie bis zum Knie. Unbeschnittene Mädchen gelten als unbeherrscht und freizügig. Ich dachte früher auch, Europäerinnen seien Wilde, ständig auf der Jagd nach Männern.

 Welche Beschneidungsarten gibt es?

Bei der „Sunna“, der kleinsten Form, wird die Spitze der Klitoris abgeschnitten. Das ist zwar ein großer Eingriff, aber ein relativ leichter. Bei der zweiten Form wird die gesamte Klitoris herausgeschnitten. Mich hat man auf die „pharaonische“ Weise beschnitten. Dabei werden Klitoris und innere Schamlippen herausgeschnitten, die großen Schamlippen werden ausgeschabt und dann wird alles zusammengenäht. Für das Menstruationsblut bleibt nur eine Öffnung von der Größe eines Maiskorns.

 Wie kann die Frau danach überhaupt noch Sexualität haben?

In Somalia wird eine Frau in der Hochzeitsnacht geöffnet. Manchmal tut sie es selbst mit einem Messer, manchmal eine Tante, die Schwiegermutter oder der Mann. Doch einige Frauen gebären, ohne je richtig geöffnet worden zu sein. Das vernarbte Gewebe dehnt sich dann nicht, und sie verbluten oder ihre Babys ersticken.

 Auch Sie konnten als somalisches Nomadenmädchen den großen Tag der Beschneidung kaum erwarten.

Ja, aber als alles vorbei war, fühlte ich mich hintergangen, von meiner eigenen Kultur betrogen. Man hatte mir Dinge suggeriert, die nicht stimmen. Ich war nicht schön. Ich strahlte nicht. Ich wartete darauf, dass ich mich glücklich fühlte. Doch Furcht und Traurigkeit zogen in jeden Winkel meines Körpers. Ich hatte wochenlang hohes Fieber. Meine Mutter bestellte schon mein Leichentuch. Ich bekam schweres Rheuma und konnte meine Familie bei ihren Märschen durch die Wüste nicht begleiten. Reiche Verwandte schickten mich dann zur medizinischen Behandlung nach Deutschland.

 Und hier angekommen, flüchtete ein Frauenarzt vor Ihrem Anblick aus dem Behandlungszimmer …

Er war ein älterer Herr, doch er hat mir mit seinem Verhalten beinahe seelischen Schaden zugefügt. In Afrika gelten alte Menschen als weise. Ich musste lernen, dass es hier manchmal genau umgekehrt ist, dass oft die jüngeren Ärzte besser ausgebildet sind und sensibler reagieren.

 Was weiß man in Deutschland über das Thema Beschneidung?

Seit Waris Diries Buch eine Menge. Vereine wie Forward Germany, Intact und Menschen für Menschen sind sehr aktiv. Die Medien sind offener für unser Anliegen, aber auch gierig: immer auf der Suche nach hässlichen Bildern aus Afrika.

 In der Münchner Uni-Frauenklinik werden beschnittene Frauen nach der Geburt ihres Kindes auf eigenen Wunsch wieder zurückgenäht. Lässt sich das verhindern?

Nicht, wenn die Frau es aus kosmetischen Gründen oder aus Tradition unbedingt will.

 Gibt es auch in Deutschland Beschneidung?

Sie ist verboten. Bis zu sechs Jahre Gefängnis stehen darauf. Trotzdem findet sie statt. Meist werden die Mädchen aber bei einem Ferienaufenthalt in Afrika beschnitten. Zum Glück tut sich was: Im Senegal etwa ist die Beschneidung seit 1998 illegal.

INTERVIEW: EVA VON STEINBURG