Gaspreiserhöhung „nicht gerichtsfest“

Sammelklage von Gaskunden gegen den Bremer Energieversorger swb nimmt eine überraschende Wendung: Wegen unklarer Formulierungen in den AGB habe der Versorger gar kein Recht, die Preise zu erhöhen, findet das Gericht

AUS BREMEN ARMIN SIMON

Gasversorger haben in vielen Fällen möglicherweise überhaupt kein Recht, die Gaspreise für ihre KundInnen zu erhöhen. Diese Rechtsauffassung vertrat gestern das Bremer Landgericht in der Verhandlung über die Sammelklage von 58 GaskundInnen gegen den Bremer Energieversorger swb – und sparte sich damit langwierige Debatten über Ölpreisbindung und Preiskalkulation.

Die swb hatte die Gaspreise seit September 2004 in vier Stufen um insgesamt 38 Prozent angehoben. Im Gegensatz zu vielen anderen Gerichten bundesweit, die über ähnliche Klagen bereits entschieden oder noch zu entscheiden haben, ließen sich die Bremer RichterInnen auf eine Billigkeitsprüfung der Preise allerdings gar nicht erst ein. Sie unterzogen vielmehr die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) und die Verträge, welche die swb mit den KlägerInnen geschlossen hat, einer genaueren Prüfung. Und kamen zu einem erstaunlichen Schluss: Die Klausel, die dem Energieversorger das Recht einräumt, die Gaspreise einseitig zu ändern, sei intransparent und viel zu unbestimmt. Selbst das Gericht habe – obwohl ihm noch Angaben der Eon Ruhrgas, der Vorlieferantin der swb, zur Verfügung standen – „Schwierigkeiten gehabt, das Berechnungsmodell nachzuvollziehen“, sagte Richterin Britta Gustafsson. Für die Verbraucher sei erst recht nicht ersichtlich, wonach genau sich die swb bei Preisanpassungen richte. Sie hätten daher auch keine Möglichkeit, die Preisgestaltung zu überprüfen. Ergo, schloss Gustafsson ihren Vortrag, sei die Klausel in den AGB „nicht gerichtsfest“ und also unwirksam.

Weder KlägerInnen noch Beklagte hatten mit einer solchen Wendung gerechnet. Man sei „vollkommen überrascht“ von der Einschätzung des Gerichts, gab der Energieversorger anschließend konsterniert zu Protokoll. Beide Seiten wollen noch schriftlich Stellung nehmen. Ein Urteil soll am 19. Mai verkündet werden.

Explizit nahm das Landgericht in seinen Ausführungen auf das sechs Monate alte so genannte Flüssiggas-Urteil des Bundesgerichtshofs Bezug. Darin hatten die Richter sinngemäße Klauseln für unwirksam erklärt, weil die KundInnen die Kosten, die darin als möglicher Grund für eine Anpassung der Preise genannt werden, weder kennen noch in Erfahrung bringen könnten. Für die Verträge der swb gilt nach Auffassung der Bremer RichterInnen dasselbe. Preiserhöhungen würden hier mit höheren Bezugskosten begründet, der entsprechende Vertrag zwischen swb und Eon Ruhrgas sei allerdings „unbekannt“, weswegen es hier „erst recht an einer realistischen Möglichkeit des Kunden fehlt, die Preisgestaltung zu überprüfen“. Die allgemeine Regelung des BGB, wonach Preise „im Zweifel“ einseitig „nach billigem Ermessen“ festzulegen seien, kommt nach Auffassung des Bremer Landgerichts nicht zum Tragen, weil sie für die VerbraucherInnen noch ungünstiger als die vertragliche Regelung wäre.

Sollten die Bremer RichterInnen bei ihrer Auffassung bleiben, hätte dies bundesweite Bedeutung. Preisanpassungsklauseln, die dem Transparenzgebot widersprechen, finden sich nicht nur in den AGB der swb. „Diese Art von Klauseln ist absolut branchenüblich“, stellte der Rechtsanwalt der swb fest. Deswegen dürfte wohl davon auszugehen sein, dass der Bremer Energieversorger mit Rückendeckung der Branche im Zweifelsfall alle Rechtsmittel ausschöpfen wird. Vertreter der Bremer Verbraucherzentrale, auf deren Initiative hin sich der Widerstand gegen die Gaspreiserhöhungen formiert hatte, sprach gestern dennoch von einem „Erfolg auf der ganzen Linie“.