Die Polizei zoomt sich ganz nah ran

Videoüberwachung von „Kriminalitätsschwerpunkten“: Hamburg installiert Kameras auf der Reeperbahn, Schleswig-Holstein debattiert derweil über ein neues Polizeigesetz, das großflächige Kamerakontrollen erst ermöglicht. Bremen hat das längst

Von Marco Carini

Mit Batterien von Videokameras wollen Hamburg und Schleswig-Holstein jetzt die Überwachung von öffentlichen Straßen und Plätzen beginnen. Während die Hansestadt den „Kriminalitätsschwerpunkt“ Reeperbahn bis Ende kommender Woche mit einem Dutzend Kameras ausrüsten wird, beriet der Kieler Landtag am vergangenen Donnerstag die gesetzlichen Grundlagen für die umstrittene Tele-Überwachung.

Weil auf der angeblich „sündigsten Meile der Welt“ in den vergangenen Jahren stets mehr Gewalt- und Diebstahlsdelikte registriert wurden als an neun weiteren Hamburger „Kriminalitätsschwerpunkten“ zusammen, wählte die Innenbehörde der Hansestadt die Reeperbahn für die erste Komplett-Videoüberwachung einer Straße aus. Rund um die Uhr sollen die zwölf auf dem Hamburger Kiez installierten Kameras Bilder an die berühmte Davidwache und das Hamburger Polizeipräsidium senden. Dabei geht es der Hamburger Innenbehörde um Aufklärung und Abschreckung zugleich: Potenzielle Straftäter sollen wissen, dass man sie beobachtet, geschehene Verbrechen mithilfe der Bilder aufgeklärt werden.

Das Konzept ist umstritten: So betont Hamburgs Datenschutzbeauftragter Hartmut Lubomierski, dass eine Kamera-Überwachung „in der Regel lediglich zu einer örtlichen Verdrängung und Verlagerung der Kriminalität“ führe. Ein Drogenhändler etwa werde „seinen Arbeitsplatz einfach an eine andere Stelle verlegen“. Nur „der rational agierende Täter“, so weiß Lubomierski, reagiere überhaupt auf diese Form der Kontrolle – Spontan- oder Affekttaten könnten so nicht verhindert werden. Zudem beklagt der Datenschützer, dass die Polizei das Filmmaterial nicht nach wenigen Tagen vernichtet, sondern einen ganzen Monat aufbewahrt.

Innenbehörden-Sprecher Marco Haase räumt durchaus ein, dass die Videoüberwachung „kein Allheilmittel“ sei. Zusammen mit anderen Maßnahmen wie einer verstärkten Polizeipräsenz und „lageabhängigen“ Personenkontrollen werde sie die Sicherheit auf dem Kiez aber erhöhen. Dabei ist die Reeperbahn-Überwachung ohnehin nur ein Testlauf. Ganz oben auf der Liste weiterer Überwachungsorte stehen der als Drogenumschlagplatz bekannte Hansaplatz in St. Georg sowie die S-Bahnhöfe Bergedorf und Neugraben. „Wir werden die Auswirkungen der Videoüberwachung genau analysieren und dann entscheiden, ob wir sie auf andere Kriminalitätsbrennpunkte ausweiten“, schaut Haase schon mal in die Zukunft.

Möglich wurde die Überwachung per Kiez-Kameras erst durch eine im vergangenen Herbst beschlossene Novelle des Hamburger Polizeigesetzes, die die gesetzlichen Grundlagen für die Video-Überwachung lieferte. Ein Gesetz mit Vorbildcharakter: Am Donnerstag debattierte der Kieler Landtag eine Verschärfung des schleswig-holsteinischen Polizeirechts, die dem Hamburger Modell weitgehend folgt. Das Gesetz, gegen das vor allem der schleswig-holsteinische FDP-Chef Wolfgang Kubicki „verfassungsrechtliche Bedenken“ hegt, ist noch nicht einmal beschlossen, da melden verschiedene Städte schon Begehrlichkeiten an. So kündigte das bislang als Verbrechens-Metropole kaum in Erscheinung getretene Rendsburg (28.500 Einwohner) an, so bald wie möglich den Schiffsbrückenplatz und den Altstädter Markt videoüberwachen zu lassen.

Erfahrungen mit der flächendeckenden Videoüberwachung öffentlicher Räume gibt es bereits seit Jahren in Bremen. Die Weser-Metropole erlaubte sich bereits 2001 das Abfilmen von Kriminalitätsbrennpunkten per Polizeigesetz und begann ein Jahr später als eine der ersten deutschen Städte auf dem Bahnhofs-Vorplatz mit der Kamera-Kontrolle öffentlicher Räume.

Doch wissenschaftlich erhärtet werden konnte auch hier der Nutzen der Überwachung bislang nicht. Das gelang laut der Soziologin Daniela Brandt von der Universität Bielefeld bislang in kaum einer der 27 deutschen Städte, die seit mindestens 2003 versuchen, mit laufender Kamera die Kriminalität zu vermindern.

So bleiben die geplanten Kamera-Kontrollen zwischen Rendsburg und Reeperbahn weiter höchst umstritten. Der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen Johannes Vogel unkt gar, Hamburgs Innensenator Udo Nagel (parteilos) wolle „seinen Beamten auf der Davidwache eine kostenlose Peep-Show zur Verfügung stellen“.

Ein Blick nach England, dem Mutterland der Videoüberwachung öffentlicher Räume zeigt, das diese Unterstellung so absurd wohlmöglich gar nicht ist. Anfang der Woche wurde bekannt, dass im nordenglischen Bezirk Northumbria zwei Polizisten vom Dienst suspendiert wurden. Sie hatten in Pubs Nacktfotos angeboten. Die Bilder waren von einer Überwachungskamera zufällig eingefangen worden.

Das „little sister-Aktionsbündnis gegen Kontrolle und Videoüberwachung“ veranstaltet am heutigen Samstag ab 15.30 Uhr an der Reeperbahn/Ecke Hamburger Berg einen „Aktionstag gegen Videoüberwachung“