„Das Valium Schwarz-Rot wirkt“

Die Wähler wollen keine Aufbrüche, sondern schrittweise Entlastung, meint der PolitologeFranz Walter. Die kleinen Parteien haben ihre Rolle nicht gefunden – noch nicht

taz: Herr Walter, der Wahlkampf war langweilig, die Wahlbeteiligung schlecht wie nie. Ist die Dosis Schwarz-Rot so hoch, dass das Land wegschlummert? Es sollte doch Aufbruch geben.

Franz Walter: Ach, diese Aufbrüche. In Wahrheit sind doch alle ganz froh, dass es keine künstlich geschürten Konflikte gibt. Der alte Rhythmus des politischen Spektakels ist durchbrochen. Bisher war es so, dass eine Volkspartei mit einer kleinen Partei regierte – und die jeweils andere Volkspartei schrie sofort auf. Jetzt ist das nicht mehr so, und dadurch legt sich tatsächlich so etwas wie Mehltau auf das Land.

Die SPD kommt ganz gut raus mit dem Wahlsieger Beck?

Ja, aber das stimmt nur auf den allerersten Blick. Tatsächlich kann man nach Bayern und Sachsen die SPD nun auch in Baden-Württemberg keine echte Volkspartei mehr nennen. Das stört heute und morgen den Berliner Koalitionsfrieden nicht, aber für die SPD ist das langfristig verheerend. Denn das sind ja wirtschaftlich wichtige Gebiete mit rund einem Drittel der deutschen Bevölkerung, wo die SPD nichts mehr zu melden hat.

Was bedeutet die Wahl für die Arithmetik der Koalition?

Keiner muss sich scharf profilieren. Es müssen nicht irgendwelche Parteimanager die Rute schwingen. Das Valium Schwarz-Rot wirkt.

Vor der Bundestagswahl hatten alle Angst vor einer neoliberalen Regierung. Haben wir jetzt nicht eine lupenrein sozialdemokratische?

Das sehe ich gar nicht so. Die CDU hat sich re-christdemokratisiert. Die Union war doch ohnehin nie eine marktradikale Partei, und bei Kurt Beck ist es gerade umgekehrt. Der hat zusammen mit Rudolf Scharping eine katholische, im Grunde schwarze Region umgekrempelt – mit einem christdemokratischen Politikstil. Das ist die Marke Beck: ein bisschen paternalistisch, ein Mann, der jede Weinkönigin schon einmal umarmt hat. Beck bewegt durchaus Dinge, aber er betont dabei immer: Keine Sorge, die Kirche bleibt im Dorf! Das ist die klassische CDU-Attitüde seit Adenauer. Für mich ist das das Zeichen dieser Wahlen: Die Leute wollen keine Aufbrüche, sondern Entlastung.

Bislang sieht das in Berlin wie Spielverderberregieren aus: Du gibst mir die Bürgerversicherung nicht, dafür mach ich dir die Kopfpauschale kaputt. Geht das so weiter?

Die machen gar nichts kaputt. Diese Art Politik geht so weiter, wie es ja in den Zeiten der informellen großen Koalition auch schon war. Es wird jetzt alles schneller gehen, ohne viel Getöse. So ist das in Sozialsystemen, die seit 150 Jahren gewachsen sind. Da werden neue Elemente mit reingenommen, das wirkt unspektakulär, ist aber gar nicht anders denkbar.

Die kleinen Oppositionsparteien, dachte man, könnten ihr Profil schärfen. Sieht aber nicht so aus. Was ist da los?

Alle drei kleinen Parteien haben ihre Rolle nicht gefunden – noch nicht. Die Unzufriedenheit im Bürgertum, von dem etwa die FDP profitieren wollte, ist eben erst mal gewichen – und hilft also nicht. Aber es ist nicht so überraschend nach einem halben Jahr großer Koalition, dass die kleinen Parteien noch nicht so weit sind. Das kommt noch.

Die Linkspartei kommt nicht auf die Beine. Warum?

Das sagt etwas über die schwache Mobilisierungsfähigkeit der Gewerkschaften. Immerhin stehen wir in einer scharfen Tarifauseinandersetzung – ohne dass es der Linken nützen würde.

INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER