„Vieles geht verloren“

„Das ist beinahe wie Archäologie“: Fünf deutsche Museen stemmen eine Ausstellung zur Geschichte der Videokunst. Wulf Herzogenrath, Direktor der Bremer Kunsthalle, über die Ziele und Hintergründe

Interview BENNO SCHIRRMEISTER

Ein Kanonisierungsschritt: In 59 Tapes gibt die Ausstellung „40jahrevideokunst.de“ einen Überblick über die Entwicklung der elektronischen Kunst in Deutschland von Nam June Paiks erster Fernsehkunst-Präsentation in einer Wuppertaler Galerie im März 1963 bis ins Jahr 2004. Gezeigt wird sie, jeweils ergänzt um eine spezifische Einzelausstellung, zeitgleich im ZKM in Karlsruhe, in der Düsseldorfer K21, dem Münchner Lenbachhaus, dem Leipziger Museum und in der Bremer Kunsthalle. Deren Direktor Wulf Herzogenrath zählt zu den führenden Medienkunst-Experten. Ein Gespräch über die Ziele der konzertierten Aktion und die Hürden, die Videokunst immer noch überwinden muss.

taz: Herr Herzogenrath, der Titel „40jahrevideokunst.de“ bringt zum Stolpern: zum Beispiel diese Ländermarke „.de“, also „in Deutschland“…

Wulf Herzogenrath: Das ist kein Chauvinismus, etwa dass da nur deutsche Passträger dabei wären. Wir haben uns konzentriert auf Künstler, die in Deutschland Besonderes bewirkt haben, etwa fürs deutsche Fernsehen eine Produktion gemacht haben, die querständig zu dem war, was damals als „fernsehgerecht“ angesehen wurde. Deswegen ist auch ein Richard Kriesche mit einem kleinen Auftragswerk der Kultursendung „aspekte“ dabei. Das ist zur documenta 6 entstanden, bei der Videokunst erstmals in einer relativen Breite gezeigt wurde.

Gleichzeitig wundert man sich, dass ein runder Geburtstag fünf wichtige Kulturinstitutionen zu einer gemeinsamen Ausstellung verleitet. Sind 40 Jahre wirklich ein Anlass?

Nein. Der Anlass sind sicher nicht die 40 Jahre. Das war eher der Jahrhundertwechsel als eine Art Zäsur, um sich der beiden Fragen, die immer wieder gestellt werden, systematisch anzunehmen. Das ist erstens die Frage: Welches sind die künstlerisch prägenden Tapes? Und zweitens: Wie sind sie denn zugänglich? Wo kann ich mir einmal ein Band von Ulrike Rosenbach oder Nam June Paik anschauen? Das ist ja scheinbar ein Widerspruch in sich, aber doch die Realität: Dieses Medium, das als leichter reproduzierbar gilt, ist sehr viel schwieriger zugänglich als beispielsweise Malerei.

Woran liegt das?

Weil Video nun einmal in der Zeit und mit Ton abläuft. Der Werkcharakter kann nicht durch ein paar Standbilder dargestellt werden. Es ging mir also darum, dass sich eine Gruppe Fachleute zusammensetzt und sagt, diese Bänder halten wir für interessant. Diese höchst heterogene Jury – alt und jung, Mann und Frau, Ost und West – hat rund 500 Bänder gesichtet, ausgesprochen viel diskutiert, und am Ende standen diese 59 Tapes.

Sie zeigen in Bremen einen Fernseher der 1960er-Jahre, auch in Karlsruhe sind etliche alte Gerätschaften ausgestellt – muss man, um Videokunst zu präsentieren, eine Art Technikmuseum an der Hand haben?

Nein. Sicher, wenn ich 1973 ein Tape gekauft habe, das würde heute schwerlich laufen. Aber für die Präsentation sind die Fragen weitgehend beantwortet: Wie ist etwas sachgerecht zu zeigen? Ist es wichtig, dass noch ein Band läuft, oder kann es auch eine DVD sein? Da geht es um das Werk, das sichtbar wird. Das Problem ist aber, dass manches verloren geht, weil es in einer sehr gefährdeten Aufzeichnungsform gemacht ist. Ein Magnet auf einem Videoband – und es bleiben nur noch Störungen. Deshalb war die Frage der Restaurierung wichtig. Und da ist die Zeitspanne von 40 Jahren plötzlich ziemlich groß, für technologische Entwicklungen ist das beinahe schon wie Archäologie. Das muss in der Tat ins öffentliche Bewusstsein dringen – dass uns hier Kulturgut verloren geht, wenn wir nicht klären: Wie kann etwas, wie soll etwas restauriert werden.

Schwer zugänglich – gilt das auch für die Betrachter?

Nein, wirklich nur physisch, aus technischen Gründen. Museen haben damit noch – vorsichtig gesagt – Probleme. Und Videotheken können mit Videokunst nichts anfangen – kommerzialisierbar ist das noch nicht. Da müsste zunächst noch ein Schub kommen.

Also auch da ein konservatorisches Problem?

Auch, aber in Deutschland zunächst ein mentales: Dass die Museumsleute Grafik sammeln, ist selbstverständlich. Dafür haben alle großen Museen Kupferstichkabinette. Eigene Abteilungen für Film und Video, wie in den USA seit 30, wie in Frankreich und England seit 20 Jahren, gibt es hier nicht.

Videokunst-Skepsis ist auch unter deutschen Kunstkritikern verbreitet – etwa das Vorurteil, sie finde in kleinen abgedunkelten Räumen statt.

Es fehlt noch, dass es streng riecht. Der Schweißgeruch, weil da so viele Menschen sind –, das gehört auch zum Kritiker-Vorurteil. Wohl auch, weil Videokunst in den großen Ausstellungen wie der documenta oder der Biennale die meisten Besucher anzieht. Was viele sehen wollen, gilt in Deutschland oft als suspekt.

Aber woher kommen derartige Vorstellungen?

Es ist vielleicht eine Verallgemeinerung. Für viele ist in Deutschland das, was Gerry Schum um 1970 in Deutschland geleistet hat, der Inbegriff von Videokunst. Schum war sehr wichtig, ein bedeutender Mittler – allerdings keineswegs repräsentativ, sondern mit einem speziellen, sehr radikalen Ansatz. Das war minimalistische Konzeptkunst, beispielsweise gefilmte Landart, in Schwarzweiß. Das war eine ausgesprochen stilistische Haltung. Aber sehr prägend – und deshalb hat man sie für Medienkunst-typisch gehalten. Manchmal kann ein zu großer Erfolg auch ein Nachteil sein.