Das Mahnmal der anderen Seite

Im Tiergarten wird das Denkmal für die homosexuellen NS-Verfolgten errichtet. Gewonnen hat die Ausschreibung das norwegisch-dänische Künstlerpaar Ingar Dragset und Michael Elmgreen

von WALTRAUD SCHWAB

Obwohl Michael Elmgreen und Ingar Dragset kein Paar mehr sind, bleibt ihr Name in „elmdrag@elmdrag.net“ zusammengeschweißt. Künstler sind die beiden. In Kennerkreisen ist das schwule Duo ein Begriff wie Gilbert und George.

Vor kurzem haben Elmgreen und Dragset die Ausschreibung für das Denkmal für die von den Nazis verfolgten Homosexuellen gewonnen. Ihr Entwurf wird im Tiergarten unweit des Holocaust-Mahnmals gebaut. Wann es los geht, ist noch offen.

Zehn Jahre dauerte die Diskussion um das Gedenken der NS-Verfolgten und Ermordeten in Deutschland. Die Frage, über die gestritten wurde: Soll es ein Denkmal für alle Verfolgten geben oder werden sie auseinander dividiert? Hier die jüdischen Opfer, da die Sinti und Roma, dort jene, die Widerstand leisteten, und irgendwo anders die Homosexuellen. Das Ergebnis ist bekannt: Seit der Eröffnung des Holocaust-Mahnmals im Mai 2005, das an die ermordeten Juden und Jüdinnen erinnert, ist das Interesse an der Diskussion verflogen. Deshalb hat kaum jemand in Berlin Notiz genommen von der Entscheidung für das Denkmal, das an die homosexuellen NS-Opfer erinnern soll. „Wir nehmen es nicht persönlich, dass man uns bisher ignoriert“, meint Dragset.

Gebaut wird nun ein weiterer, einzelner, stelenartiger Hohlkörper, wie er im Holocaust-Mahnmal in tausendfacher Ausführung vorkommt. Dieser allerdings wird etwas schräger stehen als die Kubi auf der anderen Seite der Straße. Schräg – das ist symbolisch. Das Besondere an diesem Betonklotz: Durch eine Öffnung kann man ins Innere des Kubus und direkt auf eine Projektion von zwei sich küssenden Männern blicken.

Im ersten Augenblick irritiert es, dass Elmgreen und Dragset für ihr Denkmal ein Detail des Holocaust-Mahnmals kopieren. Die Erklärung der Künstler klingt jedoch plausibel: „Schwule mussten sich bereits bestehende öffentliche Räume immer aneignen, sie umdefinieren und mit ihrer Sicht erweitern.“ Insofern sei es nur konsequent, wenn sie sich die Mahnmalkultur von der anderen Seite der Straße zu Eigen machten. „Wir benutzen das, womit die eine Seite des Leidens dargestellt wird, auch für die andere. Wir akzeptieren das Leid der anderen und stellen jenes daneben, mit dem wir uns identifizieren“, sagt Elmgreen.

Die Projektion der sich küssenden Männer strahlt im Gegensatz zu den Stelen des Holocaust-Mahnmals etwas Leichtes, gar Störanfälliges aus. „Wir wollten die Beziehung zur Gegenwart. Heute gilt: Wir akzeptieren Homosexuelle, aber wir wollen sie nicht sehen.“ Dem wirkt ihr prämierter Entwurf entgegen. „Wir zeigen die Homosexuellen nicht auf provokative Art, wir zeigen sie küssend. Dafür kam man unter den Nazis schon ins KZ.“

Dragset und Elmgreen sind international bekannt. Seit ein paar Jahren arbeitet das norwegisch-dänische Duo in Berlin. Ihr Atelier strahlt die Poesie moderner Entsagung aus. Einzig die Schale mit Obst auf dem Arbeitstisch gibt dem weißen Ambiente in der Fabriketage an der Schönhauser Allee Farbe. Sobald Elmgreen und Dragset, schlaksig, jungenhaft, mit offenem Lachen, jedoch auftauchen, wird alles leicht. „Skandinavier duzen sich.“ Im Atelier sehe es so spartanisch aus, weil ihre Arbeiten vor allem architektonische Installationen sind, die nicht hier, sondern vor Ort gebaut werden.

Die beiden Männer, die sich vor 13 Jahren in Kopenhagen ineinander verliebten, sind erfolgreich. Serpentine Gallery London, Biennale in Venedig, Bohen Foundation New York, Sydney, Tokio, Zürich, Barcelona – viele namhafte Einrichtungen haben ihre Arbeiten gezeigt. Dass sie dabei ein Maß an Unberechenbarkeit und antikünstlerischer Attitüde an den Tag legen, hat ihrem Ruhm eher genützt als geschadet. In der Tate Gallery in London etwa, die sich zugute hält, immer im Rahmen von Superlativen zu agieren – das Größte, das Neueste, das Innovativste –, haben sie eine winzige Arbeit gezeigt: Sie stellten einen nachgebauten, sterbenden Vogel aus. Sonst nichts. Allerdings wurde die Ausstellung unter drei verschiedenen Titeln und mit drei unterschiedlichen Plakaten angekündigt. Elmgreen und Dragset verstehen sich mehr als Interventionisten denn als Künstler. Sie stellen Orte in Frage.

Bei anderer Gelegenheit bildeten sie deshalb auch Galerieräume nach, die dann allerdings in der Luft hingen. Eine dieser Arbeiten war im Hamburger Bahnhof zu sehen. Man ging hinein, aber man war nicht drin. Die beiden haben zudem schon Ausstellungsräume in die Erde gebaut. Von oben kann reingeschaut werden, als wäre es ein Pool. Powerless structures – machtlose Strukturen nennen die Künstler diese Installationen.

Auf eine sinnlose Weise sehr powerful ist hingegen eine Installation in Texas: Mitten in der Wüste entlang einem Highway haben sie einen Prada-Shop gebaut. In den Auslagen stehen Prada-Schuhe und -Taschen. Gesponsert natürlich. Es sind Objekte, die an dieser Stelle der Welt, umgeben von Sand, keinen Sinn machen. Überhaupt keinen. Es soll lustig gewesen sein, als die Cowboys zur Einweihung auf ihren Trucks ankamen. Das Besondere am Objekt: Es ist von allen Seiten versiegelt. Man kommt nicht rein. Der Prada-Shop steht nun da wie ein Monument, das sich selbst überlassen bleibt und verfallen wird. In der öffentlichen Wahrnehmung ist der Laden allerdings schnell zum Referenzpunkt geworden. „Wo seid ihr?“, wird ein Lastwagenfahrer angefunkt – „Just passed Prada – grad an Prada vorbei.“ Solche Gespräche soll es schon gegeben haben, meint Elmgreen.

Eine andere Installation, die zeigt, wie die beiden Künstler denken: In Mailand haben sie einmal eine Galerie ausgeräumt, eine Öffnung in die Decke geschlagen, eine Glaskuppel darüber befestigt und eine Leiter aufgestellt, die in das Loch in der Decke reicht. Sonst war da nichts. Die Galeriebesucher konnten hochsteigen und ihren Kopf – geschützt von der Glaskuppel – direkt in die Küche einer über der Galerie wohnenden Kurzwarenverkäuferin stecken. Im Kunstkontext werde viel von sozialer Differenz gesprochen, aber das sei es dann auch gewesen, meint Ingar Dragset. Kontakt zu den sozial Differenten pflege man kaum.

Weder Dragset noch Elmgreen haben je eine Kunstakademie besucht. Elmgreen hat gar nicht studiert. In Kopenhagen wurde er in den 80er-Jahren als kreativer Provokateur mit Aktionen im öffentlichen Raum bekannt. Die Fans des heute 45-Jährigen kamen aus den politischen Alternativkreisen der dänischen Hauptstadt. Der acht Jahre jüngere Dragset wiederum machte Theater und Tanz. Weil beide mit ihrer Kunst eigentlich in die Diskussion mit anderen Menschen kommen wollten, passten sie nicht nur als Liebhaber, sondern auch als kreative Macher zusammen. „Kommunikation ist uns besonders wichtig. Unsere Arbeit entsteht in der Auseinandersetzung.“

Dragset und Elmgreen mischen sich ein. Dass es ein Glück ist, im öffentlichen Raum Spuren hinterlassen zu dürfen, das wissen sie. Starkult wollen sie nicht, Ehrfurcht vor ihrem Werk schon gar nicht. Wenn das Mahnmal, das nun gebaut wird, zum Referenzpunkt einer Cruising-Area für Schwule würde, finden sie das okay. „Der Tiergarten ist sowieso schon eine.“