Schon Mitte des Monats kein Geld mehr

Manche Eltern müssen schon für das Kinderbett Schulden machen. Immer mehr Menschen seien von Armut betroffen, berichtet die Nationale Armutskonferenz. Sie fordert, dass der Regelsatz für Hartz-IV-Empfänger von 345 auf 420 Euro angehoben wird

AUS BERLIN SARAH STEFFEN

Marlies Linz fühlt sich manchmal hilflos. Dann zum Beispiel, wenn bereits Mitte des Monats Hartz-IV-Empfängerinnen zu ihr kommen, weil sie nicht wissen, wie sie den restlichen Monat mit den kleinen Kindern über die Runden kommen sollen. Die Geschäftsführerin des Diakonischen Werks im Main-Tauber-Kreis kann ihnen dann manchmal 50 Euro zustecken und ihnen raten, in billigeren Läden einzukaufen, die speziell für Hartz-IV-Empfänger da sind. Hilflos fühlt sie sich auch, wenn Menschen so verschuldet sind, dass ihnen der Strom abgedreht wird. „Das ist manchmal ganz schön frustrierend“, sagt sie.

Dass diese Erfahrungen aus dem Nordosten Baden-Württembergs kein Einzelfall sind, bestätigen die gestern vorgestellten sozialpolitischen Bilanzen der Nationalen Armutskonferenz. „Es zeigt sich, dass die Regelleistung von 345 Euro einfach für viele nicht ausreicht“, sagt Hans-Jürgen Marcus, der Sprecher der Nationalen Armutskonferenz, einem Zusammenschluss von Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und Selbsthilfeorganisationen. Die Armut breite sich durch Hartz IV aus.

Auch die Verschuldung habe zugenommen, berichtet die Armutskonferenz. Das weiß auch Marlies Linz aus ihren Beratungen: „Es ist nicht genug Geld da zum Leben.“ Leittragende seien vor allem die Kinder. Selbst in der ländlichen Gegend von Tauberbischofsheim, wo Besucher verbilligter Läden, so genannter Tafeln, eben nicht anonym bleiben, stünden die Leute Schlange.

Nach Angaben der Armutskonferenz hat sich 2005 allein die Zahl der Kinder unter 15 Jahren, die auf Sozialhilfeniveau leben, auf 1,5 Millionen erhöht. „Wo ein Kinderwagen als Darlehen gewährt oder mit Krediten finanziert werden muss, werden Kinder bereits mit Schulden geboren“, kritisiert Marcus. Gerade Familien und Schwangere kämen mit Hartz IV in Bedrängnis. So verweigerten die zuständigen Ämter oft Zahlungen für Kinderbetten und Babykleidung, weil ältere Kinder in der Bedarfsgemeinschaft leben. Begründet werden solche Entscheidungen damit, dass die benötigten Dinge schließlich schon vorhanden seien – selbst wenn das neue Baby vielleicht zu einer anderen Jahreszeit geboren wird als das Kind davor.

Weil die wenigsten Hartz-IV-Empfänger mit ihrem Geld auskommen, werden kostenlose oder verbilligte Essensangebote stärker besucht. Marcus berichtet, dass sich diese Angebote bundesweit von 350 auf 580 erhöht hätten. Auch Kleiderkammern erhielten verstärkt Zulauf.

Dass Hartz IV in jeder Kommune ein bisschen anders gehandhabt wird, kritisiert Marcus. Die so genannten angemessenen Unterkunftskosten würden oft willkürlich ausgelegt. Aber Rechtssicherheit sei gerade für sozial Benachteiligte ein hohes Gut. „Die Instrumente des Forderns sind sehr ausgeprägt, die des Förderns wenig“, missbilligt Marcus. Auch die Integration von Langzeitarbeitslosen gelinge nicht. Statt Weiterbildung fixierten sich einige Kommunen nur auf 1-Euro-Jobs.

„Wir können uns eine Absenkung der Regelleistung nicht vorstellen“, sagt Marcus. Schon jetzt reiche das Geld nicht aus. Die Nationale Armutskonferenz verlangt deshalb, dass der Regelsatz von 345 Euro auf 420 Euro erhöht wird. Allein wenn die Mehrwertsteuererhöhung kommt, brauchten die Hartz-IV-Empfänger mehr Geld.