Für die Eisenbahn fehlt der Schotter

Jede fünfte Zugverbindung wird gestrichen, warnt der Verkehrsclub Deutschland. Denn die Bundesregierung will die Mittel für Regionalzüge, S-Bahnen und Busse drastisch kürzen. Die Länder wollen sich mit den Einsparungen allerdings nicht abfinden

AUS BERLIN HANNA GERSMANN

Aussteigen bitte, Endstation! – Pendler kommen nicht mehr an ihr Ziel, der Nahverkehr wird ausgedünnt. Michael Gehrmann vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) prognostizierte der Republik gestern eine Zukunft, die wenig mobil ist. Grund: Die schwarze-rote Koalition will die Zuschüsse für den Nahverkehr kürzen. Abfinden will sich Gehrmann damit nicht.

Derzeit schüttet der Bundesfinanzminister jedes Jahr gut 7 Milliarden Euro aus, damit die Länder Regionalzüge, S-Bahnen und Busse finanzieren können. Rot-Grün hatte zugesagt, diese Regionalisierungsmittel bis 2009 auf 7,5 Milliarden Euro zu erhöhen. Davon sollen nach den Plänen der jetzigen Bundesregierung aber nur noch 6,6 Milliarden Euro übrig bleiben. Am Freitag befasst sich der Bundestag zum ersten Mal mit dieser Sparmaßnahme.

„Die Abgeordneten müssen die Pläne stoppen“, forderte Gehrmann. Andernfalls „wird jeder fünfte Zug gestrichen“. Den Ländern bleibe nichts anders übrig, als das Angebot einzuschränken. Sie könnten freilich auch selbst einen höheren Betrag leisten oder die Preise erhöhen. Im Zweifelsfall, so glaubt Gehrmann, nähmen die Bürger jedenfalls wieder ihr Auto und reihten sich in Staus ein.

Politiker wollten genau dieses Verkehrschaos verhindern, als sie 1994 die Bahnreform auf den Weg brachte. Damals verabredeten Bund und Länder, dass fortan die Länder die Verantwortung für den Regionalverkehr übernehmen. Im Gegenzug erhielten sie Geld aus dem Minerölsteueraufkommen des Bundes.

Durch die Reform sollte der Regionalzug eine bezahlbare Alternative zum Auto werden. Tatsächlich ist die Bahn mittlerweile nirgendwo so erfolgreich wie im Nahverkehr: Die Fahrgastzahlen sind seit Mitte der Neunzigerjahre um 30 Prozent gestiegen. Deshalb fallen Gehrmann andere Möglichkeiten zum Sparen ein, „als ausgerechnet bei Regionalzügen“. Auf seiner Streichliste: Die ICE-Neubaustrecke Nürnberg–Erfurt oder zahlreiche Ortsumgehungen. Zudem plädiert er dafür, eine Mehrwertsteuer für internationale Flugtickets zu kassieren und die Entfernungspauschale zu kippen.

Voraussichtlich muss die Koalition über die Kürzungen auch noch mal nachdenken. Die Länder müssen ihr nämlich zustimmen. Viele Minister sind aber empört. So kündigte Rheinland-Pfalz „erbitterten Widerstand“ an. Und Nordrhein-Westfalen reklamierte bereits einen Rechtsanspruch auf das Staatsgeld.

Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) wirft den Ländern indes vor, die Regionalisierungsmittel bislang zweckentfremdet zu haben. Immer wieder heißt es, dass das Geld in den Haushalten der Länder verschwinde. Nachweisen lässt sich das jedoch nicht: Die Länder müssen derzeit keine Rechenschaft ablegen, wo die Regionalisierungsmittel bleiben. „Das muss sich als Erstes ändern“, resümiert Gehrmann.

Der VCD startet unter www.vcd.org eine Protestaktion: „Der Nahverkehr gehört nicht aufs Abstellgleis“